Kolumne Dumme weiße Männer: Die späte Einsicht des Währungsfonds

Nach Jahrzehnten stellen die weißen Männer des IWF den Neoliberalismus in Frage. Ein schwacher Trost für die Millionen, die er in die Armut trieb.

Ein Mann läuft an einer Mauer vorbei auf der "IMF go home" steht

Hau ab, IWF: Die Griechen halten nicht viel vom Währungsfonds Foto: dpa

Es gibt dieses Gefühl der Erleichterung, wenn am Ende auch der letzte Depp verstanden hat, was allen anderen offensichtlich schien. Kurz freut man sich mit ihm, statt sich über seine Begriffsstutzigkeit zu ärgern. Man ist erleichtert, statt der verplemperten Zeit nachzutrauern. Und wenn der letzte Depp dann auch noch einer war, der viel Einfluss hatte, hält die Erleichterung vielleicht ein wenig länger an.

Stellt Euch vor, der Internationale Währungsfonds (IWF) stellt nach Jahrzehnten seine neoliberale Leitpolitik in Frage.

In einem Paper stellen drei prominente Ökonomen die für den IWF fast schon ketzerische Frage: Wurde der Neoliberalismus überverkauft? “Statt Wachstum zu erzeugen, hat manche neoliberale Politik mehr Ungleichheit produziert“, schreiben die Männer. Schon die Formulierung ist revolutionär, wurde „Neoliberalismus“ als Begriff doch bisher nur von Gegner*innen, nie aber von Befürworter*innen dieser Agenda von verringerten Kapitalkontrollen, weitreichendenen Privatisierungen und Wohlfahrtsstaatsabbau genutzt. Und der mächtigste Durchsetzer dieser Agenda war der IWF.

Die Autoren argumentieren, dass nicht eindeutig sei, dass neoliberale Reformen Staaten tatsächlich zu mehr Wachstum verhelfen. Hingegen seien die Kosten der erhöhten Ungleichheit sehr deutlich. Und diese würden wiederum zu weniger Wachstum führen. Auch hier bleibt festzuhalten: Ökonomen des IWF – des IWF! – schreiben, Neoliberalismus führe nicht zu mehr Wachstum. Sie schreiben, Neoliberalismus führt zu mehr Ungleichheit. Und sie schreiben, mehr Ungleichheit sei schädlich. Der Herr hat offensichtlich auf eine der sandigsten Wüsten der Welt Hirn regnen lassen.

Diese Wüste der Hirnlosigkeit war und ist dabei eine durch und durch weiße, männliche Angelegenheit, gegründet 1945, in der Endzeit des Kolonialismus. Bis Christine Lagarde 2011 Direktorin wurde, hatte der IWF ausschließlich weiße, männliche Leiter – darunter der ehemalige deutsche Bundespräsident Horst Köhler. Und auch heute sind bis auf eine Handvoll Ausnahmen alle Abteilungsleiter weiße Männer und im Exekutivdirektorium sind zwölf von 24 Direktoren weiße Männer.

Die akademischen Vokabeln des neuen Artikels verschleiern allerdings noch immer, was die Interventionen des IWF für die meisten Länder in Südamerika, Afrika, Asien und Osteuropa bedeuteten: Nämlich die Verarmung weiter Teile der Bevölkerung, ihre Disziplinierung und Tötung durch Terrorregimes, mit denen der Fonds zusammenarbeitete, Millionen Tote durch Armut und Verzweiflung und die Bereicherung von wenigen, insbesondere westlichen, Konzernen.

Und bevor wir es vergessen: Auch westeuropäische und nordamerikanische Arme haben unter neoliberaler Politik gelitten, in Großbritannien bekannterweise unter Margaret Thatcher, in Deutschland ausgerechnet unter Rot-Grün. Neuerdings wurden so in Griechenland Banken gerettet, die schlechte Investmententscheidungen getroffen hatten – dafür müssen die Bürger*innen mit dem Verkauf von Staatseigentum und dem Abbau von Wohlfahrt bezahlen.

Die Reichen wurden reicher, die Armen starben

In ihrem Buch “Die Schock-Strategie“ zählt die Journalistin Naomi Klein diese Auswirkungen auf: Nach der IWF-Intervention in Chile in den 1980er Jahren fiel fast die Hälfte der Bevölkerung unter die Armutsgrenze, während die Einkommen der reichsten 10 Prozent um 83 Prozent stiegen. Das Pinochet-Regime folterte und tötete Zehntausende. In Polen fielen dank der IWF-Intervention in den 1990ern bis zu 60 Prozent der Menschen unter die Armutsgrenze, obwohl die Wirtschaft nominell wuchs. In Russland stieg die Zahl der Menschen unter der Armutsgrenze von wenigen Prozent auf fast 50 Prozent, zugleich stiegen Alkoholismus, Drogenkonsum, Suizide und Morde – Klein geht davon aus, dass mehrere Millionen Menschen einen “ökonomischen Genozid“ zum Opfer fielen.

Das alles ist nicht neu. Bereits 1988 trat der IWF-Ökonom Davison Buddhoo mit einem gepfefferten Abschiedsbrief von seinem Posten zurück. “Für mich ist der Rücktritt eine unbezahlbare Befreiung, da ich mit ihm einen ersten Schritt zu diesem Ort gemacht habe, an dem ich von meinen Händen das abwaschen kann, was für mein geistiges Auge das Blut von Millionen armen und hungernden Menschen ist […] Es ist so viel Blut, dass es in Flüssen fließt.“

Was bringt also nun die Erkenntnis innerhalb des IWF? Vermutlich nicht viel, auch wenn man mit dem Guardian auf ein Absterben des Neoliberalismus von innen hoffen kann. Einer der Autoren des Papiers sagt, die Position stelle nicht die “Kultur des Mainstreams“ im IWF dar – vor fünf Jahren wäre nicht mal die Veröffentlichung eines solchen Papers denkbar gewesen. “Kulturen bewegen sich langsam“, sagte er der Financial Times.

Und selbst wenn. “All die Milliardäre, die der IWF produziert hat, müssen jetzt ihr Geld zurückgeben, oder?“ fragte Naomi Klein nach Erscheinen des Papiers. Schön wär’s.

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Lalon Sander ist Datenjournalist. Sein Schwerpunkt liegt in der Aufbereitung von Datensätzen zum Klimawandel.

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