Kolumne Erwachsen: Rosen gibt's hier nicht, Schätzelein!

Hosenstall auf? Aus Versehen ein T-Shirt mit rassistischem Slogan angezogen? Oder warum, verdammt noch mal, starren mich alle so an?

Gucken Sie nach rechts und vergleichen Sie selbst. Bild: RTL/William Kass

Wer in einer Großstadt lebt, weiß in der Regel den Komfort von Anonymität, Ignoranz und mangelnder Sozialkontrolle zu schätzen. Umso unheimlicher ist es, wenn man plötzlich zu einem Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit wird.

Es fing mit einem harmlosen Stehrümchen an einer Bushaltestelle im West-Berliner Zentrum an – der Bus kam nicht, dafür aber unzählige junge und mittelalte Frauen, die mich im Vorbeigehen anstarrten. Nicht unfreundlich zwar, im Gegenteil, aber sie starrten. Hosenstall auf? Aus Versehen ein T-Shirt mit menschenverachtendem Slogan angezogen? Nicht stadtteilkompatible Kleidung? Keine Ahnung.

In der U-Bahn stießen sich in letzter Zeit immer mal wieder junge Mädchen an, wenn ich ihnen gegenüber saß und wisperten, „Das isser. Das isser!“, und quietschten wie die Meerschweinchen. War ich vielleicht über Nacht zur Youtube-Celebrity geworden, weil mich irgendjemand bei einem Missgeschick im Alltag gefilmt hatte? Der Zusammenstoß mit einem Poller neulich war in seiner Dämlichkeit schon filmreif, okay.

Doch nicht nur freundliche Blicke sollten mich im Weiteren begleiten. Junge Herren bedachten mich des Öfteren mit abschätzigem, teils höhnischen Blicken – Homophobie jetzt auch wieder gesellschafsfähig im Bereich des akademisierten Mittelstandes mit Nerd-Brille? Kann doch wohl nicht wahr sein?

Die Offenbarung des Rätsels ließ auf sich warten, erfolgte aber schließlich an der Wursttheke der Karstadt-Lebensmittelabteilung. Es fing an wie gewohnt. „Guck mal“ stupste die eine Verkäuferin die andere an, „Dit isser“. Sie zurück: „Ja, jenau – dit isser doch.“ Nun traute ich mich doch, einmal nachzufragen: „Wer genau soll ich denn bitte sein, kennen wir uns? Ich kann mir diese Abteilung hier eigentlich nicht leisten und bin nicht wirklich so oft....“. Unisono kam es zurück: „Na, der Bachelor! Ditt sindse doch!“.

Ich antwortete noch schüchtern, dass ich einen Magister-Abschluss … früher, alles besser … aber es gab kein Halten mehr, auch nicht im Kundinnenbereich vor der Wursttheke. „Kiek mal, jenau die gleichen Augen – vielleicht nicht ganz so stechend, wah? Na ja, dit Licht …“. Ergänzend eine Kundin: „Den Bart trägt er ooch länger, aber sonst? Ja, dit kommt hin“.

Es stellte sich heraus, das der aktuelle Protagonist der RTL-Kuppelshow „Der Bachelor“ ebenfalls Glatzenträger ist und anscheinend eine gewisse Ähnlichkeit mit mir hat. Ein Herr, der über die letzten Wochen mit diversen Damen in Südafrika kaserniert war, um dort kameraüberwacht seine Zukünftige zu erwählen. „Kennt doch jedet Kind“, beschied man mir.

Nun ist der Spuk nun hoffentlich zu Ende, die letzte Folge wird am Mittwochabend gesendet. Den Bachelor aber kann ich nur warnen: Die meisten taz-Leser, behaupte ich jetzt mal, schauen keine Kuppel-Shows – und wenn er Pech hat, wird er mit mir verwechselt. Nicht nur, dass er dann damit klar kommen muss, als Homo geoutet zu sein, schlimmer noch: Ich habe in der letzten Kolumne Rentner-Bashing betrieben und voll auf die Mütze bekommen.

Zieh Dich warm an, Bachelor.

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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