Kolumne Fernsehen: „Hinterher ist man halt schlauer“

Die „Tagesschau“ wird in letzter Zeit ordentlich in die Mangel genommen. Ja, sie soll sich wehren und streiten. Aber nicht so.

Damals war die Welt der „Tagesschau“ noch in Ordnung. Bild: ap

Es gibt Mysterien im Fernsehen, die sich ganz einfach erklären lassen. Zum Beispiel alles, was bei „Galileo“ unter „mysteriös“ oder „geheimnisvoll“ läuft. Oder warum Bully Herbig bei der letzten „Wetten, dass ..?“-Sendung dabei sein durfte. Schauen Sie mal auf www.haribo-und-bully.de. Die alte Haribo-„Wetten, dass ..?“-Connection hielt halt bis zum letzten Atemzug der Show.

Es gibt aber auch Mysterien, die sich nicht so simpel erklären lassen. Zum Beispiel: Was zum Henker ist bei der „Tagesschau“ los? Die Frage zielt nicht darauf ab, ob vermeintliche Fehler vermeidbar gewesen wären, oder ob man sich über die Darstellung von Ereignissen streiten kann – sondern auf die Reaktionen des ARD-aktuell-Chefs Kai Gniffke.

Seinen Flaggschiffen „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ fliegt ja gerade einiges um die Ohren: die Ukraine-Berichterstattung, Putins Platzwahl beim Mittagessen und aktuell die Inszenierung der Staatschefs vor dem Pariser Gedenkmarsch. Immer wenn die Kritik allzu laut wird, schreibt Gniffke einen Eintrag im Tagesschaublog. Sein wiederkehrendes Argumentationsmuster: Eigentlich müsste man sich gar nicht mit der Kritik auseinandersetzen, aber ich lasse mich dann doch mal herab.

Bei seiner Einlassung zur Kritik an der Ukraine-Berichterstattung liest sich das so: „Wir wollen es uns nicht zu einfach machen und alles als gesteuerte Kampagnen und Spielwiese für Verschwörungstheoretiker abtun (obwohl das zum Teil der Fall ist).“ Erst danach geht er auf die Kritik ein, ein bisschen. „Hinterher ist man halt schlauer.“

Zwei Tage später räumt Gniffke dann doch ein, dass es ein Fehler gewesen sei, in den „Tagesthemen“ zwei Todesopfer den Separatisten zuzuschieben. Die waren’s wohl nicht. Tja. Hinterher ist man halt schlauer.

Gniffkes Sarkasmus

Auf die von Stefan Niggemeier infrage gestellte Wahl eines Videoausschnitts, der einen vermeintlich allein am Tisch sitzenden Putin beim G-20-Gipfel zeigt und von der „Tagesschau“ mit den Worten „Putin, einsam und verlassen“ betextet worden war, spottet Gniffke: „Wir sind und bleiben die heimlichen Unterstützer der Nato, die täuschen, fälschen und verdrehen.“

Und nachdem unter anderem die taz bemängelte, dass die Inszenierung der Staatschefs als Anführer des Trauermarschs in Paris genau das war: eine Inszenierung – und dass die „Tagesschau“ dies leider nicht kenntlich gemacht hat, blafft Gniffke, dass das „wilde Verschwörungstheorien“ seien: „Kompletter Unfug.“

Niemand erwartet von der „Tagesschau“ Unfehlbarkeit. Niemand erwartet bei kurzen Beiträgen Vollständigkeit (was auch immer das bedeuten mag). Doch was man erwarten kann, ist eine Dekonstruktion von Inszenierungen und einen Chefredakteur, der sich bewusst ist, dass es nicht nur die Wahrheit der „Tagesschau“ gibt.

Vor einer Woche jubelte die Chefredaktion von ARD-aktuell im Tagesschaublog: „Die große Mehrheit meint: Das Erste hat mit Abstand die besten Nachrichten.“ 75 Prozent der Zuschauer würden dem Ersten die größte Nachrichtenkompetenz bescheinigten. „Ihr Votum freut uns, es steigt uns sicher nicht zu Kopf.“ Sicher? Ganz sicher?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.