Kolumne Geht’s Noch?: Mediales Kaffeesatzlesen

Nordkoreas Machthaber ließ seinen Chefunterhändler erschießen. Oder nicht? Für viele Medien ist es zweitrangig, ob die Meldung stimmt.

Kim Jong Un lacht

Bei der Berichterstattung über kein anderes Land werden journalistische Standards derart missachtet Foto: KCNA/dpa

SEOUL taz | Was für ein Scoop! Als Nordkoreas Sondergesandter Kim Hyok Chol von dem gescheiterten USA-Gipfel aus Hanoi heimkehrte, hat ihn Kim Jong Un noch am Flughafen erschießen lassen – und eine Handvoll weiterer hochrangiger Parteikader in Umerziehungslager gesteckt. Das berichtet die größte südkoreanische Tageszeitung, Chosun Ilbo. Wenige Minuten später greift Reuters die Story auf, dann die New York Times, die dpa, und schließlich landet sie auch in Dutzenden deutschen Lokalzeitungen. Doch stimmt die Geschichte überhaupt?

Im Korrespondentenclub in Seoul geht am Freitagnachmittag das Lamentieren los: Redaktionen in Paris, Madrid und Berlin wollen schleunigst einen Bericht über die jüngste Hinrichtung aus Nordkorea. Einige Korrespondenten sehen in dem Thema einen schnell verkauften Artikel, die meisten jedoch lehnen die Auftragsanfragen ab. Fürs Kaffeesatzlesen braucht man schließlich keine Journalisten vor Ort.

Bei der Berichterstattung über kein anderes Land werden journalistische Standards derart missachtet wie bei der über Nordkorea. Unter Hinweis auf die Abgeschiedenheit der Diktatur geht jedes Gerücht als Eilmeldung durch. Gegenchecken kann man eh nicht, lautet die weit verbreitete Binsenweisheit.

Doch ein zweiter Blick lohnt: Die Nachricht von der Hinrichtung wurde von Chosun Ilbo hinausposaunt – von jenem erzkonservativen Blatt also, das für seine unseriöse wie zugleich politisch motivierte Nordkorea-Berichterstattung berüchtigt ist. Es gibt eine einzige, selbstredend anonyme Quelle – die Faktenlage ist also äußerst mau.

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Die Zeitung Chosun Ilbo war es auch, die einst behauptet hatte, Kim Jong Un habe 2013 seine Ex-Freundin hinrichten lassen, weil sie Pornos gedreht haben soll. Dass jene Ex nur wenig später quietschfidel im Fernsehen auftauchte, blieb eine kaum beachtete Randnotiz. Auch dass Kim seinen Onkel angeblich 120 hungrigen Hunden zum Fraß vorwarf, stellte sich als Ente heraus (hingerichtet wurde er jedoch sehr wohl). Die Liste von Falschnachrichten aus Nordkorea ist endlos.

Natürlich weiß die Journalistenzunft, dass diese Gerüchteküche nicht mit seriöser Berichterstattung zu verwechseln ist. Doch viele Medien sind geradezu besessen von diesem Regime, das regelmäßig für Clickbait sorgt. Wer kann da schon widerstehen? Und ob die Erschießung von Nordkoreas Sondergesandtem nun wirklich stattgefunden hat? Könnte sein. Die Chancen liegen bei 50 Prozent.

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Seit 2019 China-Korrespondent mit Sitz in Peking. Arbeitete zuvor fünf Jahre lang als freier Journalist für deutschsprachige Medien in Seoul, Südkorea. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.

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