Kolumne Geht's noch?: Hach, die Kleinen!

Der Kevin sei noch so jung, entgegnen einige Medien und Parteikollegen auf Kühnerts Kapitalismuskritik. Der wisse gar nicht, wovon er rede. Wie herablassend!

Kühnert gestikuliert

Kevin Kühnert, Ober-Juso, beim Auftakt des Juso-Bundeskongresses im November 2018 Foto: Marius Becker/dpa

Achtung, eine Durchsage: Der kleine Kevin möchte aus dem linksutopischen Bällebad abgeholt werden! So klingen die Kommentare über Kevin Kühnerts Ideen zur Überwindung des Kapitalismus. Im Interview mit der Zeit hatte der Juso-Chef laut darüber nachgedacht, dass man BMW ja demokratisch kollektivieren und jedem Bürger nur noch den Wohnraum als Eigentum zugestehen könnte, den er selbst bewohnt.

Einen Tag später hat Kühnert diese Aussagen sogar – Achtung: frech! – noch einmal im Spiegel bekräftigt. Seitdem schreien PolitikerInnen und JournalistInnen: „Sozialismus“, „Marx“ und „Trabi“. Aber auch: Der Kevin weiß nicht, wovon er redet, ist ja noch so klein.

„Sie sind bald 30 und eine Universitäts-Lusche“, schreibt Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner, eine Anspielung darauf, dass Kühnert sein Studium noch nicht beendet hat. Gerhard Schröder habe als Juso-Vorsitzender auch viel Unsinn geredet, meint derweil die Volksstimme aus Magdeburg.

Und dann kommt die großväterliche Häme auch noch aus der eigenen Partei. Finanzminister Olaf Scholz lächelt süffisant, als er sagt: „Gott sei Dank liegt meine Juso-Zeit schon über 30 Jahre zurück, da war der noch gar nicht geboren.“ Daraus spricht die gleiche Verachtung für junge Menschen, die jüngst so oft zu hören war. Die ­SchülerInnen, die freitags fürs Klima demonstrie­ren? Sollen den Klimaschutz lieber „Profis“ überlassen. Die jungen GegnerInnen der EU-Urheberrechtsreform? Von den Internetgiganten gekauft. Wahlrecht ab 16 für die Europawahl? Lieber nicht, Teenies haben doch Flausen im Kopf.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Wer die gesellschaftlichen Visionen junger Menschen als naiv abtut, der braucht sich nicht zu wundern, wenn sich diese Menschen von der Politik abwenden. Wenn sie nicht wählen gehen und keine Lust haben, sich in diese auf sämtlichen Ebenen überalterte Politik einzubringen. Ein Kevin Kühnert mag es aushalten, als jugendliches Dummchen abgestempelt zu werden. Er ist klug genug, das als lächerlich abzutun. Aber bei vielen anderen jungen Leuten kommen solche Aussagen als genau das an, was sie sind: verächtlich.

Dass es auch anders geht, lässt sich in den USA und in Großbritannien beobachten. Dort zirkulieren schon länger sozialistische Ideen und offensive Kapitalismuskritik. Gerade das war es, was junge Leute für die Politik der US-Demokraten oder der britischen Labour begeistert hat. Und das, obwohl den Sozialismus-Hype dort alte, weiße Männer losgetreten haben: Jeremy Corbyn und Bernie Sanders.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ressortleiterin Reportage & Recherche und Vorständin der taz. Berichtet vor allem über sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch, Rechtsextremismus und Desinformation.Davor war sie Medienredakteurin im Gesellschaftsressort taz2. Erreichbar über Threema: 9F3RAM48 und PGP-Key: 0x7DF4A8756B342300, Fingerabdruck: DB46 B198 819C 8D01 B290 DDEA 7DF4 A875 6B34 2300

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.