Kolumne „German Angst“: Kein Gespenst, ein Zombie geht um

Die EU verwandelt ihre Peripherie in eine Pufferzone autoritärer Staaten. Der völkische Nationalismus lebt wieder auf.

Ein verzerrtes, wahnsinnig blickendes Gesicht mit vielen Wunden

Wie Untote sind die Krisen des 20. Jahrhunderts zurückgekehrt Foto: reuters

Hat eigentlich in den letzten Wochen mal jemand nach Südosteuropa geschaut? Seit die Balkanroute zu ist, ist es in Deutschland still geworden. Die Verzweifelten suchen sich zwar neue Pfade. Aber die EU ist wie ein kleines Kind: Sie hält sich die Augen zu und ist überzeugt, so sei sie unsichtbar. Ein bisschen ist sie es auch – solange die Türkei die Flüchtlinge außer Sichtweite hält, vielleicht sogar bald mit Selbstschussanlagen.

Das müssen die PolitikerInnen in Deutschland mit ihrem Die-Probleme-müssen-vor-Ort-gelöst-werden-Mantra gemeint haben. So einfach ist es: Problem outgesourct und erledigt. Solange der eine „starke Mann“ mitspielt. Und es wäre doch wirklich lustig, wenn Merkels Deal scheitert, gerade weil Erdoğan die ihm zugewiesene Macht über Leben und Sterben der Flüchtlinge zu Kopf gestiegen ist.

Und der Balkan? Solange das verarmte Mazedonien in der Tradition eines Wehrbauern am Rande des Imperiums die Schmutzarbeit erledigte, erst die Tracks koordinierte und dann die Grenzen schloss, kniff man beide Augen zu. Doch nun gibt es wieder Proteste gegen die korrupte autokratische Regierung. Die sitzt so fest im Sattel, dass sie sich Stimmen kauft und unabhängige Medien schließt. Aber was soll man Mazedonien vorwerfen? Es liegt ja im Trend.

Die europäischen Medien etwa redeten dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić nach dem Maul. Er inszenierte die letzte Wahl als eine für Europa oder dagegen – und verkaufte sich erfolgreich als pro-europäisch. Kurz nach der extra vorverlegten Wahl überfielen Maskierte die selbst organisierten Flüchtlingsunterkünfte in Belgrad und zerstörten sie vollständig. Und Vučić sitzt wiedervereint mit seinem Mentor, dem freigesprochenen (!) Kriegsverbrecher Vojislav Šešelj im Parlament. Aber was soll’s – auch Serbien hat sein Scherflein zur Festung Europa beigetragen.

Faschistoid und gescheitert

Und Kroatien? Das EU-Land hat einen Kulturminister, der die Ustascha-Bewegung verherrlicht und im Vernichtungslager Jasenovac bloß ein KZ sieht. Und dann noch der failed stateBosnien, in dem jede Ethnie ihr Schulsystem hat, ihre eigene Legislative und Exekutive. Racket pur. Selbst die EU hat Angst vor dem von ihr geschaffenen Frankenstein. Aber wie auf gleiche Rechte aller BürgerInnen pochen, wenn jede Ethnie ihre eigenen hat? Also schweigt die EU.

Europas nationale Regression ist nicht mehr aufzuhalten. Der halbe Balkan ist degradiert zu einem Ring aus winzigen Wehrbauernstaaten, einer undurchdringlichen Pufferzone aus unberechenbaren autoritären Ein-Mann-Autokratien, mit denen sich Kerneuropa vor Krisen und Einwanderung schützt. Und so tauchen die Krisen immer zuerst am Rande auf, zuerst die Finanz-, dann die Flüchtlingskrise.

Wie Untote kehren die Krisen des 20. Jahrhunderts zurück, kein Gespenst geht um in Europa, sondern ein Zombie: neben dem mörderischen Nationalismus und den nationalen Grenzen überforderte PolitikerInnen, unübersichtlichen Bündnisse. Und so ist wieder eine Neuordnung im Gange, welche die Menschenrechte zugunsten des Selbstbestimmungsrechts der Völker hinter sich gelassen hat. Mit allen Konsequenzen.

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Vollzeitautorin und Teilzeitverlegerin, Gender- und Osteuropawissenschaftlerin.

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