Kolumne Gott und die Welt: Fugger, Streicher und Luther

Zwischen Anstifter und Reformator: Warum richtete sich Martin Luthers Hass gegen die Juden? Ein Spaziergang durch Augsburg.

Viele, viele bunte Luthers. Bild: reuters

Eine Reise nach Augsburg gibt Anlass, erneut über Antikapitalismus und Judenhass nachzudenken. Warum Augsburg? Müsste man nicht Nürnberg meinen, die Stadt des Dichters und Schusters Hans Sachs, der Reichsparteitage, des antisemitischen Hetzblattes Stürmer und Julius Streichers und der Kriegsverbrecherprozesse gegen die Führung des nationalsozialistischen Deutschland?

Jenes Julius Streichers, der vor dem Nürnberger Tribunal zu Protokoll gab, dass an seiner Stelle Martin Luther stehen müsste, habe man doch nichts anderes getan, als Luthers judenfeindliche Vorschläge umzusetzen. Streicher, kurz darauf gehenkt, hatte recht: 1543 schlug Martin Luther in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ bis auf die Vergasungen buchstäblich alles vor, was das nationalsozialistische Deutschland an den Juden exekutierte: vom Verbrennen von Synagogen und Büchern über Zwangsarbeit und straffreie Verfolgung. Hatte Luther doch die Juden beschuldigt, alles, „was sie haben …, uns durch ihren Wucher gestohlen und geraubt“ zu haben. Aber was hat das alles nun mit Augsburg, der Hauptstadt des bayerischen Schwabens zu tun?

Wer durch die großzügige Maximilianstraße schlendert, kommt bald an einem der historisch erhaltenen Repräsentationsbauten des ersten großen deutschen Bankhauses, der Fugger, vorbei. In einer fulminanten Monografie hat der Wirtschaftspublizist Günter Ogger die Fugger charakterisiert. Etwa den Gründer des Bankhauses, Jakob Fugger (1459–1525), der Preise manipulierte, bis auch der letzte Konkurrent entmutigt aufgab, ein Kaufmann, der sich die Politik kaufte oder gleich direkt formte – heute würde man von einem „Oligarchen“ sprechen. Der Historiker Bernd Roeck, der eine kenntnisreiche „Geschichte Augsburgs“ schrieb, sagt: „Fugger verkörpert zum ersten Mal den Kapitalismus als weltbezwingende Gewalt.“

Tatsächlich konnte diese Familie ihr Vermögen über alle Zeitläufte, über Jahrhundert hinweg bis heute bewahren. Und Martin Luther, den der Nürnberger Julius Streicher haftbar machen wollte? Jener Luther, der sich Sorgen darüber machte, dass über die Frankfurter Messe zu viel Gold- und Silberreserven aus dem Reich abflössen und der die seiner Meinung nach wuchernden Juden aus dem Reich vertreiben und vogelfrei stellen wollte?

Der Revolutionär gegen die Revolutionären

Im Unterschied zu den wirklichen Revolutionären jener Zeit, den aufrührerischen Bauern – Friedrich Engels sah in den Bauernkriegen den großartigsten Revolutionsversuch des deutschen Volkes –, scheint er sich niemals ausführlich mit den Fuggern auseinandergesetzt zu haben, sondern hetzte auch gegen die revolutionären Bauern selbst. Immerhin: Luther kritisierte die Fugger, weil sie den päpstlichen Ablasshandel vorfinanzierten.

Warum aber, so geht es mir beim Schlendern durch Augsburg durch den Kopf, richtete sich der „antikapitalistische“ Hass gegen die Juden, nicht aber gegen das frühneuzeitliches Großkapital, das Politik und Freiheit in einer Weise manipulierte, wie man das seit den Hirngespinsten der „Protokolle der Weisen von Zion“ und heutigem Geraune über die „amerikanische Ostküste“ auch aus der Al-Azhar-Universität dem „Weltzionismus“, „den Juden“ fälschlich nachsagt?

1518 – lange vor seinen Hetzschriften – war Luther in Augsburg, wo er vor dem päpstlichen Gesandten seine aufmüpfigen Lehren widerrufen sollte, aber die Stadt fluchtartig verließ, da ihm Verhaftung drohte.

Die Bauern aber, die Luther zu wörtlich nahmen, wurden Objekt seines geradezu genozidalen Hasses. In der 1525 verfassten Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ rief der Theologe zum Mord auf: „Drum soll hier erschlagen, würgen und stechen, wer da kann, und daran denken, dass nichts Giftigeres, Schädlicheres, Teuflischeres sein kann als ein aufrührerischer Mensch … so wie man einen tollen Hund totschlagen muss: schlägst du nicht, so schlägt er dich und ein ganzes Land mit dir.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.