Kolumne Habibitus: Eine Kirche namens Eurozentrismus

Notre-Dame brennt – und das macht die Menschen nicht besser. Kriege und Klimawandel gehen weiter. Vielleicht mal die Kirche im Dorf lassen.

Zerstörte Umayyaden-Moschee in Aleppo

Die berühmte Umayyaden-Moschee in Aleppo, Syrien 2017 Foto: dpa

Als die Notre-Dame in Flammen stand, empfand ich nichts. Das mag herzlos klingen, aber ich sage es ganz offen: Keine einzige Emotion habe ich verspürt. Es ist nicht einmal so, als ob ich selbst nie in Paris oder in der Kathedrale gewesen wäre – es ist ewig her, aber ich war dort und habe sogar eine dieser weißen Kerzen angezündet – oder dass ich gleichgültig reagiere, weil ich nicht christlich sozialisiert bin.

Ich kann generell Kirchen nichts abgewinnen. Während meine Mutter vor jeder eindrucksvollen Kathedrale, an der sie je vorbeigelaufen ist, zig Fotos haben will, bin ich höchstens die Person, die genervt den Auslöser der Kamera betätigt.

Deswegen hat mich der Schock und die Trauer, die alle großzügig auf Social Media teilten, eher gelangweilt. Die ersten Spezis verkündeten daraufhin ihre hohlen Thesen, dass die Empörung über antisemitische und rassistische Anschläge auf Synagogen und Moscheen dann ja auch unangebracht seien. Der Vergleich zwischen einem Gebäudebrand und eine Form der Hasskriminalität, die besonders hier in Deutschland eigentlich „nie wieder“ passieren sollte, ist geschichtsrevidierend und geschmacklos.

Was hat die Notre-Dame je für euch getan, fragte ich mich. Selbst eine religionskritische Linke, die es sonst selten hinbekommt, über Anschläge auf Moscheen zu sprechen, ohne in anti-muslimischen Rassismus auszuufern, verfiel in Trauer. Innerhalb von einem Tag kamen international Spendenzusagen im Wert von über eine Millarde Euro zusammen. Und alle schwafeln von Europas Herz. Wo war Europas Herz, als tausende Menschen jährlich im Mittelmeer ertranken?

Zerstörung überall

Während die Welt über die Notre-Dame trauert, zerstört Trump aktiv auf der anderen Seite des Atlantiks durch das Verlegen von Pipelines Gebiete von Nordamerikas indigenen Bevölkerung. Der Chaco Canyon ist nicht weniger alt oder heilig als die französische Kathedrale, auch er wurde von der UNESCO zum Weltkulturerben erklärt. Juckt trotzdem kaum jemanden hier.

Durch den vorantreibenden Klimawandel wird in Zukunft alles mögliche zerstört, was für uns Kultur, Natur, Geschichte oder einfach persönliche Erinnerungen symbolisiert. Manches wird verbrennen, anderes überflutet sein, vielleicht wird ein Ort auch von so schlechter Luft durchzogen sein, dass sein Betreten tödliche Folgen haben kann. 750 Mio. Euro zur Herstellung von Klimagerechtigkeit habe ich leider nirgendwo gesehen – weder auf Pump, noch auf Spendenbasis.

Für die einen ist die Notre-Dame historisch und architektonisch beeindruckend, für die anderen schlichtweg ein heiliger Ort. Dies traf auch auf viele Gebäude zu, die in Syrien oder im Irak durch Kriege zerstört wurden: Können Sie auch nur ein einziges dieser kulturellen Erben beim Namen nennen, von denen heute nur noch Ruinen bleiben? Nein? Dann lassen Sie doch bei der Notre-Dame auch die Kirche im Dorf.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.