Kolumne Heult doch!: Über falsches und richtiges Malen

Der Kleine will dem Sandmann etwas malen. Heraus kommt ein Filzstiftgewitter. Und ich sage den nervigen Satz: „Mach das mal richtig!“

Bekommen reichlich Post aus der heimischen Kinderzimmermanufaktur: Sandmann und Freunde Foto: dpa

Neulich beschloss der Kleine, dem Sandmännchen zu schrei­ben. Also dem Kika, 99081 Erfurt. Jeden Abend um zehn vor sieben läuft da eine Sendung namens „Baumhaus“.

Im „Baumhaus“ lebt nicht direkt der Sandmann, aber es leben dort zwei ModeratorInnen, die den Kindern weismachen, gute Connections zu diesem rührenden, alterslosen Rauschebart zu haben, der ganz zu Recht die Abschaltung seines Zuhauses, des Deutschen Fernsehfunks, einfach ignorierte und im Westen weitermachte, womit er in der DDR hatte aufhören müssen, als es sich dort ausgeträumt hatte: nämlich mit dem Traumsand verteilen.

Jeden Abend werden in diesem „Baumhaus“ also drei selbst (beziehungsweise von Mama oder Papa optimierte) Mal- und Bastelerzeugnisse aus der heimischen Kinderzimmermanufaktur präsentiert, bevor der „Tageschau“-Gong der Kinder, nämlich das Düdeldüdeldüüü der Sandmannmelodie, erklingt.

Der Wettbewerb im „Baumhaus“ ist hart, ebenso sind es deshalb auch die mitbastelnden Eltern, die es „richtig“ machen wollen. Die also Emily, 5 Jahre alt, aus Wo-auch-immer, die Enttäuschung ersparen wollen, die allein schon die eigene Postleitzahl für die Baumhaus-Post verheißt.

Denn aus 99081 Erfurt werden sich acht bis zwölf Wochen später, wahrscheinlich je nachdem, wie viele PraktikantInnen sie beim Kika gerade haben, folgende Zeilen im Briefkasten finden: „Liebe/r XY, vielen Dank, dass du uns geschrieben hast. Wir haben uns wirklich sehr über deine Post gefreut. Leider … so viele Bilder … nicht alle zeigen. Als Dankeschön … ein Malbuch und … Liebe Grüße aus Erfurt.“ Ich weiß das, weil wir dank des großen Bruders schon ungefähr dreimal „Liebe Grüße“ aus Erfurt im Postkasten hatten.

Rot-blaues Filzstiftgewitter

Aber gut, der Kleine will also dem Sandmännchen was malen. Und weil er sonst keinen Stift freiwillig in die Hand nimmt, kommt das raus, was eben rauskommt, wenn ein Vierjähriger eigentlich keinen Bock auf Malen hat: eine Art riesige Gewitterwolke aus roten und blauen Linien auf filzstiftnassem Papier.

„Richtig machen“ ist meistens eine ausgewachsen erwachsene Verspanntheit

Und wahrscheinlich weil ich weiß, dass wir damit nicht gegen den ehrgeizig gebastelten Igel mit den aufgeklebten Kulleraugen und den sorgfältig ausgeschnittenen Stacheln von Emilys Mama, 35 Jahre, aus Wo-auch-immer, siegreich bestehen werden, sage ich den Satz, mit dem ich mich sofort selbst tierisch nerve: „Nee, also, jetzt mach das noch mal richtig.“

Keine Ahnung, wie oft man zu Kindern „Jetzt mach das mal richtig“ sagt. Ich glaube, zu oft. Denn was, bitte schön, heißt schon „richtig“? „Richtig machen“ ist meistens eine ausgewachsen erwachsene Verspanntheit.

Der Kleine zieht zum Beispiel seit einiger Zeit gern verschiedene Socken an. Ich habe beschlossen, das nicht falsch zu finden, hochgezogenen Augenbrauen in der Kita zum Trotz. Überhaupt zum Trotz von all diesem „Richtig machen“: Auf dem Spielplatz hört man meistens mindestens ein Elternteil, das quer über den Platz brüllt, die Ella möge doch bitte mal „richtig“ schaukeln/rutschen/auf dem Trampolin springen.

Zwischendurch auf einem Bein schaukeln

Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob man Spielgeräte tatsächlich auch „falsch“ benutzen kann. Da steckt man die Kinder ständig in irgendwelche Nachmittagsaktivitäten, wo sie Kreativität und Selbstvertrauen und so lernen sollen. Aber bitte nur Mittwochnachmittag, pädagogisch betreut zwischen vier und fünf. Zwischendurch auf einem Bein schaukeln geht nicht.

Ich bin mir deshalb auch nicht sicher, ob der Kulleraugen-Igel „richtiger“ ist als ein in 30 schnellen Sekunden gemaltes Filzstiftgewitter. Richtig ist, dass es falsch ist, elterliche Bastelarbeiten in einer Kindersendung mit Brotdosen und 50-Teile-Puzzles zu belohnen, weil das bloß den elterlichen Ehrgeiz anheizt, der erwiesenermaßen sehr ungesund sein kann – allein schon deshalb, weil viele Kinder dann womöglich noch mal „richtig“ basteln müssen, obwohl sie eigentlich gar nichts falsch gemacht haben. Oft haben die Eltern ein Problem mit richtig und falsch, nicht die Kinder.

Das Bild ans „Baumhaus“ haben wir dann übrigens doch nicht abgeschickt. Große Geschwister können ja mitunter gnadenlos sein. Und so schaute sich der große Bruder das rot-blaue Filzstiftgemälde des Kleinen an und sagte: „Also dafür gibt’s schon mal gar nichts vom Sandmann.“

Großes Geheul, der Bruder ist eine Autorität, neuer Anlauf. Jetzt warten wir auf „Liebe Grüße aus Erfurt“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.