Kolumne Hosen runter: Rasierer fürs Gehirn

Was meine Achselhaare angeht, verhalte ich mich seit zwanzig Jahren wie ein besorgter Bürger. So kann ich unmöglich weiterleben.

Frau auf Wiese mit Gras unter der Achsel

Bei manchen sprießt es grün (im Bild nicht die Autorin) Foto: imago/Steinach

Bis vor drei Wochen hielt ich mich für eine aufgeklärte junge Frau, die sich nicht von der Gesellschaft vorschreiben lässt, welchen Schönheitsidealen sie zu entsprechen hat. Dann hörte ich auf, mir die Achseln zu rasieren.

Es begann damit, dass ich unter der Dusche stand, gezückte Rasierklinge, erhobener Arm, und plötzlich dachte: Ich habe keine Ahnung, wer ich eigentlich bin. Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder, aber ich weiß nicht mal, welche Farbe meine Achselhaare haben. Stattdessen verhalte ich mich seit zwanzig Jahren wie ein besorgter Bürger, der will, dass die Flüchtlinge weggehen, obwohl er sie gar nicht kennt. So kann ich unmöglich weiterleben.

Als damals in der Pubertät das erste zarte Härchen unter meinem Arm auftauchte, säbelte ich es direkt ab: Geil, endlich erwachsen! Machte man eben so. Seit ein paar Jahren ist das anders, zumindest in meiner Welt ist das Thema schon lange kein Tabu mehr: Ich kenne Frauen, die ihre Achselhaare wachsen lassen, ich finde das nicht eklig, ich habe dazu eine klare Meinung: Soll doch jede machen, was sie will.

Trotzdem hatte ich nie darüber nachgedacht, selbst mit dem Rasieren aufzuhören. Weil mir keine überzeugende Erklärung dafür einfiel, legte ich die Klinge weg und startete mein Experiment. Ich wollte wissen, wie sich diese Haare anfühlen, wie lang sie werden, ob sie lockig sind oder glatt, ob ich schneller schwitze. Und vor allem: Ob ich mich damit schön finde.

Deo? Egal. Aber Achselhaare?

Wenn ich das erst mal für mich geklärt hätte, fand ich, könnte ich diese Entscheidung auch selbstbewusst vertreten. Egal, wie sie ausfällt. Keine Achselhaare zu tragen, weil man es nie hinterfragt hat, oder keine zu tragen, weil man sich bewusst dagegen entschieden hat, ist ein Unterschied. Auch wenn man es von außen nicht sieht.

Nach einer Woche traf ich mich mit Freundin A., einer aufgeklärten jungen Frau, die sich nicht von der Gesellschaft vorschreiben lässt, welchen Schönheitsidealen sie zu entsprechen hat. Sie sagte: „Ich benutze ja schon seit einem Jahr kein Deo mehr und bisher hat sich niemand beklagt, dass ich stinke. Aber Achselhaare? Nee. Ich würde mich irgendwie komisch fühlen, wenn ich mich vor einem Mann ausziehe.“

Nach zwei Wochen traf ich mich mit Freundin K., einer aufgeklärten jungen Frau, die sich nicht von der Gesellschaft vorschreiben lässt, welchen Schönheitsidealen sie zu entsprechen hat. Sie sagte: „Bei dir sieht das bestimmt total süß aus, aber für mich kommt das nicht in Frage. Ich bin halt nicht blond, das fällt viel zu sehr auf.“

Nach drei Wochen war ich beim Yoga. In der Position des Kriegers fiel mir wieder ein, dass da neuerdings was wächst. Ich dachte: Wenn das jemand sieht! Der denkt bestimmt, ich bin ungepflegt und stinke. Den Rest der Stunde ärgerte ich mich über mich selbst. Geguckt hat übrigens niemand.

Sich die Achselhaare wachsen zu lassen ist leicht. Sich von den Schönheitsidealen zu trennen, die einem die Gesellschaft jahrzehntelang vorgeschrieben hat, nicht. Falls also irgendwer vorhat, einen Rasierer fürs Gehirn auf den Markt zu bringen – ich würde ihn kaufen.

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Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).

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