Kolumne Immer Bereit: „Ach du Scheiße, ich muss los“

An diesem Wochenende, in der Nacht zu Sonntag, werden die Uhren umgestellt. Die richtige Zeit, um mal über die Zeit nachzudenken.

Die Uhr

Eine Stunde mehr – was soll man damit nur anfangen?! Foto: dpa

Dieses Wochenende werden die Uhren umgestellt. Keine Ahnung, von wo nach wo. Auf jeden Fall können wir am Sonntag eine Stunde länger schlafen. Bei uns zu Hause gehen sowieso alle Uhren falsch. Ich bin notorische Zu-spät-Kommerin, deshalb stelle ich logischerweise alle meine Uhren vor. Was natürlich nichts an meinem ständigen Zu-spät-Kommen ändert, weil ich in meine Tagesplanung selbstverständlich längst einberechne, dass die Uhr in der Küche sechs Minuten vorgeht, die im Bad fünf und die auf dem Festnetztelefon sogar acht.

„Wolltest du nicht um sieben los?“, fragt Paul. „Wieso?“, sage ich, „Ist doch gerade mal zehn nach.“ Mein Freund ist im Gegensatz zu mir ein notorischer Zu-früh-Kommer. Wenn wir zum Beispiel in Urlaub fahren, möchte er am liebsten eine Stunde vorher am Gleis stehen. Nur dank meiner Trödelei sind wir am Ende lediglich zehn Minuten zu früh und machen uns nicht völlig zum Obst, weil die Bahn eh immer auf meiner Seite ist und auch zu spät kommt.

Welche Uhrzeit mein Wecker zeigt, hab ich übrigens gar keine Ahnung. Ich habe ihn vor Jahren in einem Anfall von „Leben in den Griff kriegen wollen“ angeschafft und bis heute nicht herausgefunden, wie man die Zeit einstellt. Mich weckt mein Mann. Oder mein Handy. Oder der Paketbote.

Meine Freundin Frieda hat sich jetzt wieder eine Armbanduhr angeschafft, die nichts weiter kann, als die Zeit anzuzeigen. Frieda sagt, sie fand es so blöd, ständig das Telefon vorholen zu müssen, wenn sie nur mal wissen wollte, wie spät es ist. Außerdem ist es dann so offensichtlich, dass man sich langweilt.

Jetzt steht Paul im Zimmer. „Es ist viertel nach sieben“, sagt er, „wann wolltest du da sein?“ – „Um drei viertel acht“, sage ich. Paul guckt. „Neunzehn Uhr fünfundvierzig“, sage ich. – „Viertel vor acht“, sagt er, „sag das doch.“

Neulich habe ich mich mit meinem Freund Stefan gestritten. Ich sagte, die Uhrzeitbezeichnungen „viertel“ und „drei viertel“ seien Ostbegriffe, und er sagte, das habe überhaupt nichts mit Ost oder West zu tun, in seiner Heimat Baden-Württemberg sei das auch gebräuchlich. Mag sein, denke ich. Trotzdem sagt die totale Menge aller ehemaligen DDR-Bürger „drei viertel“, auch wenn nur die Mehrheit aller Schon-immer-Bundesbürger „viertel vor“ sagt. Die absolute Mehrheit. Mengenlehre, Mathematik, hör mir auf.

Als ich ungefähr zehnte Klasse war, polterte unsere Klassenlehrerin Frau Eitemüller mich bei einer Zeugnisausgabe an: „Was willst du denn mal machen nach der Schule mit einer dreistelligen Anzahl Verspätungen auf dem Zeugnis, sage mal?“ – „Ich will Germanistik studieren und Schriftstellerin werden“, sagte ich. Frau Eitemüller sah mich an. Sie war Mathe- und Physiklehrerin und sie liebte Katzen. Wenn wir keinen Bock auf Mathe hatten, mussten wir nur zu ihr sagen: „Frau Eitemüller, wie geht es eigentlich Cleopatra?“ Dann erzählte sie den Rest der Stunde von ihrer Katze. Ich konnte Katzen noch nie leiden und in Naturwissenschaften bin ich eine Niete. Aber Frau Eitemüller mochte ich. Sie sah mich an. Dann sagte sie: „Ach weißte, is egal, mach einfach weiter so. Dann bist du für die Zukunft hervorragend vorbereitet.“

Paul steht in der Tür. „Wann beginnt deine Lesung?“, fragt er. – „Um acht“, sage ich. – „Mhm“, sagt Paul, „guck mal auf die Uhr!“

Ach du Scheiße, ich muss los!!!

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