Kolumne: Immer bereit: Der Himmel über Hiddensee

Der Sommerurlaub ist vorüber, aber die Sehnsucht nach Meer bleibt.

Ach wie schön ist Hiddensee. Bild: dpa

Überall Mauern. Überall Autos. Flugzeuge auf Dachfirsthöhe. Es stinkt. Es ist laut. Es ist Berlin. „Ach, wenn wir doch wieder wegkönnten!“, sage ich zu Paul. Wir sitzen auf der Terrasse einer Gaststätte in Pankow, von der aus man den Himmel sehen kann. Der sieht heute so dramatisch aus. Ich bin ganz wehmütig. Am Nebentisch erzählt ein grauhaariger Mann einem Braunhaarigen mit Brille von seiner gescheiterten Ehe. Mit 16 habe er seine erste Frau kennengelernt. 23 Jahre seien sie zusammen gewesen. „Mir ist, als ob du meine Geschichte erzählst“, sagt der Brillenträger. Dann schweigen sie lange. Paul und ich sind uns nachher nicht einig, ob die zwei Lehrer oder Pfarrer waren.

Vor einer Woche haben wir noch in den Himmel über Hiddensee geguckt. „Hiddensee?“, hatte der Taxifahrer gesagt, der uns in Stralsund zur Fähre fuhr, „Da soll ja die ganze Woche Schlechtwetter werden.“ Ich wimmerte. „Wir haben genug zu lesen bei“, sagte Paul beruhigend. Der Taxifahrer hatte unrecht. Unser Urlaub war so schön, wie ein Urlaub nur schön sein kann. Mit Sonne, Wind und Sanddorn. Mit Schlafen und Fischessen und Draußensein von früh bis spät. Ich sehe so gesund aus, dass ich jedes Mal, wenn ich an einem Spiegel vorbeikomme, beeindruckt stehen bleibe und denke: „Wer ist die?“

„Liebe Frieda“, schrieb ich auf eine Postkarte, „der Wind hat mir jeden intelligenten Gedanken aus dem Kopf gepustet und die Sonne meine Nase verbrannt. Die Ostsee hat 16 °C. Alles ist wunderbar. Der Fisch kommt.“

Jetzt sitze ich in Pankow und esse Salat mit Schafskäse. Paul hat ein Schnitzel. „Ich will zurück an die Ostsee!“, sage ich. „Fenster streichen soll man nur in Monaten ohne r“, sagt der alte Mann am Nebentisch auf der anderen Seite zu der jungen Frau neben sich. „September“, murmele ich. „Wie?“, sagt Paul. „Wir können nicht mal mehr Fenster streichen!“, sage ich.

Als ich Pipi machen gehe, muss ich fast weinen. Mir fällt ein, wie wir auf Hiddensee immer Muster in den Sand gepinkelt haben. Paul immer schön gegen die Windschutze, die einige Assi-Touristen dort wie Gartenzäune am Strand stehen lassen. Schön Revier markieren. Ist ja auch so wenig Platz da! Der Hippie mit der Gitarre vor dem Konsum in Vitte, der jeden Tag „Bella Ciao“ und Hannes Wader geschmettert hat, musste sein Zelt abbauen. Aufregen hätte ich mich können, wenn ich nicht so entspannt gewesen wäre.

Ein unglaublich fettes Auto fährt vor uns auf der Straße vorbei. So eins, mit dem man Elche umfahren oder Sitzstreiks gegen Gentrifizierung auflösen kann: Esjuwie. Wir überlegen, wofür SUV eigentlich die Abkürzung ist. „Schwanz unter Vergrößerung“, schlage ich vor. Wir finden noch „Sofa- und Vorratsspeicher“, „Stahl uff Viagra“ und „Scheißunförmiges Vehikel“.

„Irgendwann werden die Autos so dick sein“, sage ich, „dass sie gar nicht mehr aus ihren Parklücken rauskommen. Dann kann man in ganz Berlin nur noch Fahrrad fahren. Wie auf Hiddensee.“ Das wird schön!

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Schriftstellerin, zuletzt "Hätt' ich ein Kind" bei Ullstein, Kolumnen montags bei Radio Eins.

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