Kolumne Immer bereit: Ein rosa Bustier auf Bauchhöhe

Die kleinen Mädchen am Liepnitzsee tragen Minibikini. Nur Tante Berta geht heute noch konsequent FKK baden.

Der Bauchnabel ist das Schlimmste, findet unsere Kolumnistin. Bild: Jay Aremac, flickr

Es gibt tatsächlich noch Menschen, die in Berlin leben und den Liepnitzsee nicht kennen. Also nicht „nicht kennen“ – das wäre, als würde man nicht wissen, was das Berghain ist. Aber noch nie drin gewesen, das gibt’s.

Meine Freundin Lisa zum Beispiel, die kommt aus Bayern, wohnt in Prenzlauer Berg und hat noch nie zuvor in dem ehemaligen Geheimtipp bei Wandlitz gebadet. Im Berghain war sie schon, im Gegensatz zu mir.

„Schön hier“, sagt sie und schüttelt sich. Wir stehen bis zum Bauchnabel im Wasser und warten, dass wir aufhören zu frieren. Der Bauchnabel ist das Schlimmste, finde ich. Ich weiß schon, Männer sind da anderer Meinung.

„Früher waren hier alle nackt“, sage ich und ruckle meinen Bikini zurecht, „da war das ganz normal.“ Ich klinge wie meine Tante Berta. Die bildet sich heute noch was darauf ein, dass sie konsequent nur FKK baden geht. Sogar als sie vergangenes Jahr mit Onkel Manni auf Kreuzfahrt war, hat sie nicht eher geruht, als bis sie den Nacktbadebereich an Bord gefunden hatte. „Und wo war der“, fragt Lisa, „im Heizraum?“ Ich zucke mit meinen vor Kälte zusammengezogenen Schultern.

Kreischende Kinder rennen ins Wasser. Sie haben Minibikinis an. Ein kleines Mädchen, circa vier, trägt einen pinkfarbenen Zweiteiler, der ihm mindestens zwei Nummern zu groß ist. Das Kind würde doppelt hineinpassen. Vermutlich ein abgetragenes Kleidungsstück der großen Schwester. Die Trägerchen sind ausgeleiert, die Schleife hinten ist dafür um so enger geschnallt. Das rosa Bustier sitzt auf Bauchhöhe und schnürt alles, was darüberliegt, bar und gut sichtbar nach oben. Wie ein Korsett. Der Schlüppi bauscht sich im Wasser wie eine Pluderhose. Das Kind hat Ähnlichkeit mit einer Stoffente. Eine Oma tritt hinzu und will dem Kind die Trägerchen zusammenknoten. „Nich!“, sagt das Kind. „Jetzt warte!“, sagt die Oma. Das Kind zappelt, die Oma knotet. Als die Oma das Kind entlässt, sind die Trägerchen so kurz, dass eigentlich unmöglich noch Blut bis in die Kinderfingerspitzen fließen kann. „Kneift“, sagt das Kind und zerrt das Bustier wieder nach unten. Der rechte Knoten löst sich. Das Kind rennt schnell ins Wasser. Jetzt sind wir auch nass.

Wir schwimmen eine Runde. „Gibt’s in Bayern eigentlich FKK?“, frage ich. „Klar!“, sagt Lisa, „Der ganze Flaucher ist eine einzige nackte Gay-Parade. Schon seit den 70ern.“ – „Der was?“ – „Der Isarstrand in München.“ – „Echt?“, sage ich, „Ich dachte, die Wessis wären alle so prüde. Paul kommt aus Oldenburg, der windet sich schon, wenn einer Oma am Strand das Handtuch zu klein ist, unter dem sie sich umzieht. Der streitet auch kategorisch ab, dass seine Eltern jemals Sex gehabt hätten. Schon gar nicht miteinander.“ – „Norddeutsche Protestanten“, sagt Lisa spöttisch, „wir haben früher immer nackt gebadet. Wäre auch albern gewesen, am Wildbach im Wald mit Badehosen.“ – „Und dann direkt zur Beichte und zehn Vaterunser beten?“ – „Nee“, sagt Lisa, „in der Kirche waren wir vorher.“ – „Mhm“, sage ich verträumt, „nackte Ministranten.“

„Zeline!“, schallt plötzlich die Stimme der Oma über den See. Im Umkreis von 200 Metern gehen alle in Habachtstellung. Die Oma war früher bestimmt mal Kindergärtnerin. Breitbeinig steht sie am Ufer und stemmt die Hände in die Hüften. „Zeline“, ruft sie, „wo ist dein Oberteil!?“

Das Kind scheint sich von den textilen Fesseln befreit zu haben. Nicht nur obenrum. Als wir aus dem Wasser steigen, schwimmt uns ein pinkfarbenes Pluderhöschen vor die Füße. Wie zufällig kickt Lisa es ins Gebüsch.

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Schriftstellerin, zuletzt "Hätt' ich ein Kind" bei Ullstein, Kolumnen montags bei Radio Eins.

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