Kolumne Jung und dumm: Was müssen das für Leute sein?

Unser Kolumnist schaut zum ersten Mal seit Jahren wieder eine politische Talkshow – und versteht plötzlich gar nichts mehr.

Kevin Kühnert und Anne Will sitzen sich gegenüber auf Sesseln im Sendestudio

Da sitzt also ein Traumjunge wie Kühnert und streitet bei Anne Will um CO2. Warum? Foto: NDR/Wolfgang Borrs

Schaut man also eine Talkshow, das erste Mal seit G20: weil da jetzt alle anderen drüber geredet haben, und weil man – so wie alle anderen – wohl niemals aus dem Fehler lernen wird, den gerade immer jetzt sich abspielenden Momentkorridor zu überschätzen, und sei seine eingebildete Wichtigkeit noch so verschwindend gegenüber dem Glück der sich befreienden Massen, das da in der Zukunft und vor dem Winterpalast unseres Herzens auf uns wartet.

Kevin Kühnert ist immerhin ein würdiger Nachfolger Jutta Ditfurths; viel mehr gute Politiker*innen gibt es in Deutschland auch gar nicht, Volker Beck vielleicht, Andrea Ypsilanti, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Kurt Eisner. Nun gut.

Sitzen da also Traumjunge Kühnert und noch ein paar andere Leute und lassen das Spektakel beginnen. Irgendwie wird geredet, jeder darf erstmal seine Position vorstellen, dann schnurrt das Ganze von der Schnur und sie erklären sich gegenseitig immer wieder dasselbe und verhören sich absichtlich, um auf verschiedenen Niveaus von Indirekt- und Unbewusstheit in sie strömenden Machtinteressen libidinös zu entsprechen.

Das kennt man soweit, und dass einem dabei kräftig die Hirnader schwillt und man besorgt auf einen Zettel schreibt: „Zettel – Kur bei Dr. Adams in Neuchâtel, nicht vergessen“ und dann keinen Platz an der Zettelwand findet. Und nun?

Was genau treibt diese Menschen an?

Fürchtet man sich also vor so einigem und schaut noch gebannter, extremer, das Treiben da an. Und fragt sich, warum man sich das nicht schon längst gefragt hat: Warum schaffen selbst die, die nicht strukturell zum Vorteil anderer als derjenigen argumentieren, für die sie es vorgeben zu tun; – warum schaffen selbst sie es nicht, nur für wenige Momente aus dem Strudel der Zeit auszubrechen und einmal kurz und knapp zu sagen, was Sache ist. Und was nicht.

Warum fügen sie sich so sehr dem qua shittiger Wortmeldung (oder gar auf der bloßen Lautebene verharrendem Brei) unbedingt in sie hineinobstruierten Verstreichen der Zeit? Und um die geht es hier ja angeblich, Zeit mal Zeit ist Temperatur und ergibt Klima. Warum muss man in dessen Angesicht denn überhaupt noch reden sollen?

Wundert man sich also weiter, diesmal über das „Publikum“ und was für Menschen es sein müssen, die sich einem solchen zur Verfügung stellen. Was genau treibt sie? Halten sie sich für:

a) symbolische Repräsentant*innen einer fairen, demokratischen Öffentlichkeit?b) gelangweilt und wollen mal was erleben, was Dolles, was Echtes?c) Serienmörder*innen und wollen extra-auffällig unauffällig untertauchen? Was gäbe es dafür Normaleres als das Fernsehen?d) ganz normal und glauben, dass man das eben so macht?e) ersetzbar-unersetzbare Figurant*innen von Partizipation und machen sie nur darum so stupide und vorhersehbar mit, um die Zuschauer*innen an den Fernsehgeräten sich in ihnen wiedererkennen und vor sich selbst im Innersten erschrecken zu lassen? Kurz: um sie endlich aufzuwecken?

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Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.

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