Kolumne Knapp überm Boulevard: Gurlitt, der gute Erbe

Der „Spiegel“ stellt Gurlitt als einsamen, entrückten Herrn dar, der aus der Zeit gefallen ist. Das ist dem Thema NS-Kunstraub nicht angemessen.

Cornelius Gurlitt wollte die Bilder „schützen“ Bild: dpa

Wenn jemand nur ausgiebig genug öffentlich verurteilt wird, dann schlägt das Pendel irgendwann verlässlich ins andere Extrem um. Auch der Fall des Cornelius Gurlitt folgt dieser Logik der öffentlichen Empörung: Von seiner medialen Vorverurteilung kippte die Stimmung hin zu seiner Verteidigung. Das war durchaus erwartbar.

Nicht erwartbar war aber das Abdriften des Spiegels, der gleich gänzlich und ohne jede Distanz die Perspektive des Cornelius Gurlitt übernahm. Einziger Maßstab der großen Gurlitt-Reportage ist dessen subjektives Erleben: seine Darstellung, wie die „Fremden“ – Zollfahnder und Staatsanwaltschaft – in die Schwabinger Wohnung eindrangen, seine Assoziation der Ereignisse mit Kafkas „Strafkolonie“, also mit Folter von Unschuldigen, der Abtransport, all dies bestimmt ungebrochen den Ton des Berichts.

„Das Leerräumen der Wohnung sei ähnlich tragisch gewesen“, liest man völlig unkommentiert. Dies sei „die traurigste Reportage ihres Lebens gewesen“ twitterte die Spiegel-Reporterin Özlem Gezer. Selbst wenn man das Vorgehen der Behörden kritisiert, kann man die zeitweilige Beschlagnahmung einer Bildersammlung gerade im Zusammenhang mit einer Geschichte von NS-Kunstraub so darstellen?

Aber auch die im Ton angemesseneren Verteidiger des Cornelius Gurlitt – die nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich jetzt vehement auf den Plan treten – beziehen sich vor allem auf dessen Person: den unbescholtenen, leisen, feinen, gepflegten, höflichen älteren Herr, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint – eine Skurrilität, die die anderen Eigenschaften noch verstärkt. Tatsächlich ist dieses Aus-der-Zeit-Fallen für den Fall wesentlich, weil es dem Umgang mit den Bildern, die er jahrelang in seiner Wohnung gehortet hat, entspricht.

In der Schwabinger cella

Zu diesem Umgang gehört ebenso, dass er allein mit seinen Bildern lebte, wie der „kleine Koffer mit seinen Lieblingsbildern“, den er Abend für Abend auspackte, um sie zu betrachten. Parasozial nannte die Welt diesen Umgang. Man könnte es auch einen Kult nennen. Walter Benjamin hat so einen Umgang mit Kunst als „säkularisiertes Ritual“ bezeichnet, bei dem es wesentlich sei, „das Kunstwerk im Verborgenen zu halten: gewisse Götterstatuen sind nur dem Priester in der cella zugänglich“.

All dies kommt bei Cornelius Gurlitt zusammen: die Entrücktheit, die Einsamkeit, das Verborgene. Wenn er sagt, er habe ja nur seine Bilder schützen wollen, dann meint er den Schutz „vor fremden Blicken“. In all den Jahren hat er einen privilegierten Blick konstruiert – nämlich seinen. Diese Art der Kontemplation, der Versenkung hat Benjamin übrigens eine „Schule des asozialen Verhaltens“ genannt.

Dementsprechend richtete Gurlitt der Welt ja via Spiegel aus: „Freiwillig gebe ich nichts zurück.“ Auffallend an dem Satz ist doch, wie ihm im kindlichen Trotz das Wort „zurück“ entkommt. Er sagt nicht: Ich gebe die Bilder nicht her. Er sagt, er gebe sie nicht zurück. Cornelius Gurlitt besitzt also sehr wohl ein Unrechtsbewusstsein in Bezug auf die Sammlung seines Vaters – wenn auch ein verqueres. Seine Kunstsinnigkeit, auf die alle seine Verteidiger so pochen, ist eine ästhetische Bildung, nicht jedoch eine moralische.

Es mag sein, dass die Verjährung fragwürdigen Besitz in Eigentum verwandelt hat. Dessen Rechtmäßigkeit wäre dann aber vor allem ein juristisches Manko (nämlich der Mangel einer adäquaten Regelung) und kein moralischer Rechtstitel. Und da dieser Umstand allen bewusst ist, ist er so wichtig – der feine, höfliche, kultivierte, entrückte Herr Gurlitt mit seinem interesselosen Wohlgefallen.

Seine Kultiviertheit soll das ausfüllen, was dem fragwürdigen Rechtstitel fehlt: Cornelius Gurlitt ist der Inbegriff des guten Erben. Demgegenüber erscheinen die anderen Erben, jene ohne Rechtstitel, umso leichter als „raffgierig“. Vielleicht gibt es ja kein Rechtsmittel für die Restitution – aber der Blick des einsamen Herrn Gurlitt in seiner Schwabinger cella, dieser Blick ist in seiner ganzen Kunstsinnigkeit ein gestohlener Blick.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.