Kolumne Konservativ: Alt sein werden wir lange genug

Je älter, desto konservativer, so lautet eine gängige Faustregel. Aber ab wann genau ist man alt? Etwa schon mit 40?

Alt gleich konservativ? Fred Beringer ist 70, nennt sich „Brave Eagle“, ist Sohn einer Cheyenne-Mutter und braut nahe Augsburg sein eigenes Bier. Bild: reuters

Winston Churchill soll gesagt haben: „Ist ein Mann mit 20 Jahren kein Kommunist, hat er kein Herz. Ist er mit 40 nicht konservativ, hat er kein Hirn.“ Ich werde recht bald 40.

Also frage ich mich: Was bedeutet es, jung zu sein? Und wie wird man konservativ? Der Reihe nach: Mit 20 Jahren war ich kein Kommunist. Niemand, den ich kannte, bezeichnete sich als Kommunist. Wahrscheinlich kannte gar niemand, den ich damals kannte, einen Kommunisten. Das kann ich erklären.

Vielleicht zählen Sie zu den Hunderttausenden, die im Internet den Wahlwerbespot der CDU Ahaus zur Europa- und Kommunalwahl gesehen haben. Darin zieht ein mimisch reduzierter Bauer im grauen Kittel eine gutmütige Kuh durch eine Kleinstadt. Die Kuh rettet, ohne es zu merken, einen Jungen aus knöchelhohem Wasser und stoppt zwei Bankräuber, als diese sich in ihren Hörnern verfangen. Menschen danken es der Kuh, indem sie rufen: „Danke, CDU!“

Bundesweit war das Gelächter groß. Mit 20 hätte ich das nicht verstanden. Ahaus liegt im Münsterland. Ich stamme aus dem Münsterland. So viel zum Thema Kommunismus.

40 ist das neue 20

Theoder Fontane soll gesagt haben: „Wer mit 19 kein Revolutionär ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch ein Revolutionär ist, hat keinen Verstand."

„40“ steht dabei für gestandenes Mannesalter. Doch die Lebenserwartung der Deutschen war zu Fontanes Zeit im 19. Jahrhundert weit niedriger als heute. Heute gilt: „40 ist das neue 20“. Sagt die US-Fernsehserie „Cougar Town“. Ist also, wer 40 wird, heute noch jung? Und wann dürfen, ja sollen Menschen dann konservativ werden?

Die Antwort weiß das Statistische Bundesamt. Stand Juni 2013 war hierzulande noch derjenige jung, der noch nicht 45,7 Jahre alt ist. Das ist der Altersmedian. Dieser besagt: 50 Prozent der Menschen in Deutschland sind jünger als 45,7 Jahre, 50 Prozent älter.

Ich bin nicht stolz, Deutscher zu sein, schließlich ist das weder eine persönliche Leistung, noch gelte ich hierzulande als alt. Mir fehlt also noch die Berechtigung, konservativ zu sein. Aber mit Blick auf den Altersmedian bin ich über den Umstand, Deutscher zu sein, nicht unglücklich. In Russland liegt der Median übrigens bei 38,8 Jahren. Womöglich werde ich also, während ich diese Zeilen schreibe oder Sie sie lesen, in Russland alt.

Skater mit grauen Haaren

Georges Clemenceau soll gesagt haben: „Wer mit 16 Jahren kein Anarchist war, ist ein Idiot. Aber wer es mit 40 noch ist, ist es auch.“

Viel wird geklagt über die Verlängerung der Adoleszenz bis in die Dreißiger: Skater mit grauen Haaren, Mütter mit Pippi-Langstrumpf-Zöpfen. Das zeugt angeblich vom Unwillen, Verantwortung zu übernehmen, Begrenzungen anzuerkennen. Aber betrachtet man die verlängerte Lebensdauer, erscheint mir das weniger infantil als logisch. Wenn das Leben länger dauert, ist man auch länger jung. Alt sein werden wir lang genug.

Ein kluger Mann hat gesagt: „Alt werden ist wie konservativ werden. Beides ist weder Zeichen von Stärke oder Schwäche. Es ist ein Prozess.“ Der Satz stammt, glaube ich, von mir.

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Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

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