Kolumne Kreaturen: Im Jahr des Hasen

Vogel des Jahres, Kartoffel des Jahres, Gestein des Jahres … im Naturpreissektor herrscht großes Durcheinander. Es ist Zeit für eine Reform.

Zwei von vier Millionen: Feldhasen im Taunus. Bild: dpa

Der Feldhase gehört zur Ordnung der Hasenartigen. Er ist Vegetarier, nachtaktiver Einzelgänger und auch ein passabler Schwimmer. Die Männchen tragen um paarungsbereite Häsinnen Boxkämpfe aus, wobei sie recht putzig aussehen, was man ihnen aber besser nicht sagen sollte. In Deutschland lebten 2011 Schätzungen zufolge vier Millionen Feldhasen, dennoch steht das Tier auf der Roten Liste, denn durch die Intensivierung der Landwirtschaft wird sein Lebensraum knapp. Deswegen wurde der Feldhase vom Naturschutzbund am 1. Dezember als Wildtier des Jahres 2015 verkündet.

Dem Silbergrünen Bläuling hat der Feldhase damit ein wenig die Show gestohlen, der Tagfalter wurde am gleichen Tag zum Insekt des Jahres 2015 ernannt. Schmetterling des Jahres 2015 ist wiederum das Rote Ordensband. Auch der Vogel (Habicht), der Fisch (Huchen), das Reptil (Europäische Sumpfschildkröte), das Weichtier (Mantelschnecke) und das Höhlentier (Keller-Glanzschnecke) des Jahres wurde bereits gekürt, in den kommenden Tagen und Wochen sind dann noch die Libelle, die Spinne, die Wildbiene, die Nutztierrasse und das Naturparktier dran.

Und das sind nur die Tiere. Als 1971 der Naturschutzbund den Wanderfalken zum Vogel des Jahres bestimmte, ahnte er nicht, was er da anrichten würde. Auch Alge, Allee, Arzneipflanze, Baum, Balkonpflanze, Biotop, Blume, Boden, Einzeller, Flusslandschaft, Fossil, Gemüse, Gestein, Giftpflanze, Heilpflanze, Kaktus, Kartoffel, Landschaft, Libelle, Mikrobe, Moos, Orchidee, Pilz, Staude, Streuobstsorte, Waldgebiet, Wasserpflanze wird Jahr für Jahr bestimmt. Dabei kam erst 1980 die Blume des Jahres hinzu (der Lungen-Enzian). 1989 gab es dann neun verschiedene Jahreswesen, 1999 waren es schon 19.

2014 sind wir bei inflationären über 40 angekommen, womit die Anzahl der jährlich in Deutschland vergebenen Naturpreise die der Literaturpreise überholt hat und nun nur noch hinter der der Journalistenpreise liegt. Jeder will mal: die Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde, der Arbeitskreis Wildbienen-Kataster, der Bund deutscher Staudengärtner, ja sogar der Förderkreis Sporttauchen.

Sicherlich wird es bald auch das Zoo- und Zirkustier, die invasive Spezies, das Stadttier und die Stadtpflanze des Jahres geben. Dabei kannibalisieren sich schon jetzt die Kategorien, gleichzeitig ist das Vergabeverfahren intransparent und spannungslos. Eine Reform des Tierpreiswesens ist längst überfällig! Der Botanische Sondergarten Wandsbek setzt bei der Giftpflanze des Jahres immerhin schon auf eine Online-Abstimmung (Auswahl 2015: Kartoffel, Schneeball, Rittersporn, Oleander).

Besser noch wäre, wie beim Deutschen Buchpreis, ein mehrstufiges Verfahren mit einer Longlist, einer Shortlist und über Wochen köchelnden Feuilletondiskussionen („Es fehlen vor allem viele der interessanten weiblichen Stimmen. Diese Longlist verzerrt das Bild der deutschsprachigen Natur!“). Oder wie beim Oscar, mit einer großen Verleihung aller Preise an einem Abend, einem lustigen Moderator und einer Gedenkminute für die ausgestorbenen Arten des Jahres.

So würde dem Gewöhnlichen Teufelsabbiss, dem Pseudogley, dem Leuchtmoos und all den anderen endlich wieder die Ehre zuteil, die sie verdienen. Und dem Feldhasen sowieso.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.