Kolumne Kulturbeutel: Wenn der Wille bricht

Zwei Romane beschreiben die Qualen jugendlicher Spitzenturnerinnen. Sie erzählen von Disziplin, Missbrauch und dem Hass auf den eigenen Körper.

Nadia Comanecis Erben: Silvia Stroescu als 18-jährige bei den Olympischen Sommerspielen 2004, wo sie mit Rumänien Mannschaftsgold gewann. Bild: reuters

Nadia trug meistens Rattenschwänze bei ihren Wettkämpfen. Der Trainer und seine Frau haben sie ihr gebunden. Auch Antonia ist mit zu Rattenschwänzen gebundenen Haaren auf den Schwebebalken gestiegen. 1976 hatten beide ihre größte Zeit. Antonia wurde Dritte bei den deutschen Meisterschaften – und Nadia zum vielleicht berühmtesten Mädchen der Welt, als sie bei den Olympischen Spielen von Montreal mit nicht für möglich gehaltenen Traumnoten zur planetarischen Vorturnerin wurde.

Nadias Erfolge sind echt, tausendmal gefeiert, noch öfter nacherzählt worden. Sie wurden verfilmt und sind längst legendär. Jetzt hat es Nadia Comaneci noch einmal zur Romanheldin geschafft, weil die französischen Schriftstellerin Lola Lafon herausfinden wollte, warum die kleine, großartige Turnerin so geworden ist, wie sie war.

„Die kleine Kommunistin, die niemals lächelte“ heißt Lafons Roman, der von Elsbeth Ranke ins Deutsche übersetzt wurde (Piper Verlag, München 2014). Er erzählt nicht nur die oft gehörte Geschichte vom gewitzten Kinderquäler Bela Karoly, der in der rumänischen Provinz eine Wunderkinderturnschule aufbaut, wo er die kleinen Mädchenkörper so biegsam macht, dass die Konkurrenz, vor allem die aus Russland, nicht den Hauch einer Chance hat. 14 war die legendäre Nadia Comaneci, als sie die Welt 1976 zum Staunen brachte, zum rumänischen Vorzeigeprodukt wurde, das Staatsbesuchern vorgezeigt wurde. Die wollten Rumänien oft nicht verlassen, bevor sie die wunderbare Nadia nicht in Augenschein genommen hatten.

Und so beschäftigt sich Lafon nicht nur mit der Kinderquälerei, die das Kunstturnen darstellt, sondern mit dem brutalen Staat Rumänien und der Rolle ihrer turnenden Botschafterin, die am Ende der Ceaucescu-Herrschaft so etwas wie ein Spielzeug des verwöhnten Diktatorensohns gewesen ist. Lafon will verstehen, warum sie mitgespielt hat und dem Staat auch nach ihrer Flucht im November 1989 nicht wirklich untreu wurde. Als willenloses Etwas kommt Nadia im Roman nicht gerade gut weg. War es das mörderische Kinderturnen, das ihren Willen früh gebrochen hat? Gut möglich.

Um das Brechen jeglichen Willens geht es auch in der Geschichte der Turnerin Antonia Heinrich, die die Sportjournalistin Evi Simeoni in ihren Roman „Rückwärtssalto“ gepackt hat (Klett-Cotta, Stuttgart 2014). Ein System, das seine Bürgerinnen und Bürger regelrecht verhungern hat lassen, steht nicht hinter der Karriere, von der da die Rede ist.

Mutter und Vater beschließen, dass das kluge Mädchen kurz gehalten werden soll, damit es nicht zu arrogant wird. Und so beginnt eine Zeit des Leidens unter den Eltern und den zwei Brüdern. Aus dem Leiden versucht sie zu entrinnen, indem sie alles dem Turnsport unterordnet, wo Trainer Henz auch nichts anderes macht, als den Willen des Kindes zu brechen. Den Schmerz beim Turnen lässt Antonia über sich ergehen, um ihrem Trainer zu gefallen. Und so ist sie ihm längst verfallen, als er sich eines Nachts im Trainingslager über sie hermacht. Später, als Henz Antonias Mann ist, steht sie immer noch unter seiner Fuchtel. Auch bei Simeoni geht es um die Frage, was das Turnen mit einen Mädchen machen kann.

Am Ende der Lektüre fragt man sich, warum die ganze Schinderei überhaupt sein darf. Der Hass auf die eigenen Brüste, der Hass auf jedes Gramm, das in der Pubertät zu viel am Körper haften bleibt, bestimmt die Jugend beider Mädchen. Grauenhaft liest sich das Leben dieser Kinder. Turnen in der sogenannten freien Welt ist nicht viel anders als das Kinderschinden im Schergenstaat Ceausescus.

Das Brechen von Persönchen wird als Voraussetzung für den Turnsport beschrieben.

Knack.

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