Kolumne Landmänner: Das kultivierte Verbrennungsgeräusch

Der neue schwarz-grüne Sound in Baden-Württemberg macht nicht alle Männer glücklich. Denn die größte Obsession der Schwaben heißt Porsche.

Es ist wahr, dass Schwaben alle einen Kombi fahren - sie brauchen große Autos, damit sie am Samstag ihren vorsortierten Müll zum "Wertstoffhof" fahren können. Dort bringen sie ihn unter Anleitung von strengen Mitarbeitern in die dafür vorgesehenen Behältnisse - es ist eine Art betreutes Wegwerfen.

In Baden-Württemberg, so heißt es, ist die schwarz-grüne Seele beheimatet. Auf dem Wertstoffhof kann sie sich am besten entfalten, treffen doch hier jene nachhaltige Müllobsession und mehrzylindrige Hubraumstärke aufeinander, die für das Schwabenland charakteristisch sind. Die Müllsäcke werden bevorzugt mit Produkten aus regionalem Anbau, also solchen von Daimler-Benz, transportiert.

Das ist ein bisschen verrückt, weil nämlich der Umwelt zuliebe Woche für Woche unendlich viele schwäbische Verbrennungsmotoren in Gang gesetzt werden, um Individualmüll zu transportieren. Die Schwaben sind entgegen ihrem Ruf keineswegs reine Wesen der Vernunft. Auch sie nennen Obsessionen ihr eigen, doch die größte - neben dem Müll - heißt: Porsche.

Weil nun mein Bruder bei Porsche arbeitet, durfte ich mit zur Porsche Sound-Night, einer Art vorgezogenen Oster-Messe in Stuttgart-Zuffenhausen. Während wir mit dem Kombi dorthin fuhren, dräute aus den Lautsprechern Apokalyptisches, nämlich dass die rheinland-pfälzischen Grünen den "Standort Nürburgring als Rennstrecke in Frage stellen". Mein Bruder zuckte zusammen und wurde erst ruhiger, als wir in Zuffenhausen ankamen und inmitten von auf Hochglanz polierten Sportwagen standen.

Ein Porsche-Rennwagen aus der Frühzeit des Unternehmens wurde auf die Bühne geschoben und unter einigen Mühen angelassen. Er hörte sich verdächtig nach VW-Käfer an, doch schon diese eher kläglichen Geräusche zauberten ein Lächeln in die Gesichter des fast ausschließlich männlichen Publikums. Das Lächeln wurde zum breiten Grinsen, als ein Rennwagen aus den Sechzigern im Leerlauf auf Drehzahl gebracht wurde. Und als dann noch ein 1973er 911 Feuer aus seinen Auspuffrohren spie und durch die Halle brüllte wie ein Ungeheuer aus dem Erdölzeitalter, gab es kein Halten mehr.

Doch wo die Freude schönster Götterfunken nah, ist auch das irdische Jammertal nicht fern. So ließ ich als lutherischer Ketzer beim anschließenden Bier mit Kollegen die Worte "Klima", "Hybrid" und "Elektroauto" fallen und blickte sofort in erloschene Augen. Am traurigsten war ein Akustiker - schließlich ist er für den legendären Porsche-Sound - eine Mischung aus blubbrigem V8 und hochdrehender italienischer Motorenkunst - zuständig. Ich versuchte zu trösten: "Ihr arbeitet doch schon am Elektroantrieb - kann man denn diese Geräusche nicht digital erzeugen?"

Auf dem Rückweg erinnerte ich mich an das rußende Nageln meines ersten Autos, einem alten VW Golf Diesel. Ich erinnerte mich an die Auto-Quartett-Spiele mit meinem Bruder, Hubraum sticht Zylinder. Und daran, wie wir um die Wette Autos an ihrem Motorengeräusch erraten hatten - einen BMW erkenne ich noch heute am besten. Und mir wurde klar, dass der Abschied vom Erdölzeitalter auch Schmerz bedeutet - der speiende 911er hatte das gleiche Baujahr wie ich selbst. Man muss loslassen und darf auch trauern. Und so ergab auch der Veranstaltungsort der Sound-Night einen Sinn: das Porsche-Museum in Stuttgart-Zuffenhausen.

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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