Kolumne Landmänner: Nicht über unserem Garten

Zwecklos? Sinnlos? Keineswegs: Auch eine Zweimannbürgerbewegung kann erfolgreich gegen Himmelsverschmutzung vorgehen.

Unsereins kennt aus Berufung überproportional viele Flugbegleiter - in homosexuellen Kreisen werden sie liebevoll "Saftschubsen" genannt. Es sind meist freundliche, ein wenig überpflegte Gesellen mit allerlei überraschenden Kenntnissen. Sie wissen zum Beispiel, wo genau in Bangkok EU-Führerscheine erhältlich sind und in welcher New Yorker Filiale von Abercrombie & Fitch eine bestimmte Socke am billigsten ist. Besucht man sie in ihren nur selten genutzten, aber dafür umso aufwendiger gestalteten Wohnungen, bekommt man an der Haustür meist tuffige One-Way-Pantoffeln aus Frottee gereicht, in die mit güldener Wolle die Inschrift "Kempinski Dubai" gewirkt wurde.

Das alles tut niemandem weh. Aber so wenig man täglich Tomatensaft trinken möchte, so wenig möchte man, dass diese Leute jeden Tag mit irrem Krach über einen hinwegfliegen. So empfinden es zumindest die Bürger im Süden der Hauptstadt Berlin, deren Volkszorn nun aufwallt ob der neuen Landeanflugsrouten des noch im Bau befindlichen Berlin-Brandenburg-Airports.

Während es nun im Süden wallt, knallen in anderen Teilen der Stadt schon mal die Sektkorken - in Vorfreude auf Stille und Besinnlichkeit. Ein befreundetes lesbisches Paar zum Beispiel lebt seit Jahren in Angst vor Ostwind. Dann nämlich düsen die Jets im Anflug auf Berlin-Tegel in gefühlten drei Metern Abstand über die Rattenschwanz-Radieschenbeete ihres Schrebergartens.

Ein befreundetes schwules Paar aus der die Landebahn vorwegnehmenden Florastraße in Pankow hatte sich schon längst damit abgefunden, dass die Butter immer nach Kerosin schmeckt. Und ein Freund aus dem Wedding wäre nie auf die Idee gekommen, sich bei Facebook anzumelden, weil die Welt sowieso täglich in seine Küche glotzt - im Landeanflug.

Auf dem Tempelhofer Feld, ehemals Revier der Turbopropmaschinen, wiegt sich derweil die Langgraswiese im Winde während das Volk lustwandelt statt wallt. Des einen Leid, des anderen Freud.

Nur bei uns in Ackerbürgerstadt bleibt alles beim Alten: Zu uns kommt der Jetset nämlich stets zuerst. In 1.000 Metern Höhe nähern sie sich, und möchte man in den stahlblauen Himmel schauen, um sich zu erquicken, blickt er stets zerfurcht zurück. Weiße Kondensstreifen mäandern und verknoten sich, dass es ein Graus ist. Die weit tiefer als die Metallvögel fliegenden - ach was: majestätisch gleitenden - Kraniche werden so ihres hübsch anzuschauenden Himmelszelt-Passepartouts beraubt.

Die Wahrheit ist, dass das unseren shoppenden, Sicherheitsballett aufführenden Flugbegleiterfreunden völlig egal ist. Ungefähr so wumpe wie bislang den Südberlinern, denen vielmehr die kurzen Wege zu den innerstädtischen Berliner Flughäfen wohlige Schauer über den Rücken jagten.

Meinem Mann und mir bleibt nun wohl nichts anderes übrig, als eine Zweimannbürgerbewegung gegen Himmelsverschmutzung in Ackerbürgerstadt zu gründen. Zwecklos? Sinnlos? Keineswegs: Damit wären wir ja Teil der größten Bewegung der Welt. Einer Bewegung, die weit größer ist als jene der Schwulen, die Anti-AKW-Bewegung und die kassenärztliche Vereinigung zusammen: Der "Not in my Backyard"-Bewegung nämlich. Damit wären wir dann wirklich in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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