Kolumne Lidokino: Ein feuchter Traum vom Filmfestival

Mittwoch wird in Venedig die „Mostra internazionale darte cinematografica“, das älteste Filmfestival der Welt, eröffnet. Es überrascht mit tollen Filmen.

Eine Szene aus „Passion“ von Brian De Palma (Frankreich, Deutschland), der auf dem Filmfestival in Vendedig gezeigt wird. Bild: screenshot: youtube.com

Die Mostra internazionale d’arte cinematografica von Venedig ist das älteste Filmfestival der Welt. Mittwochabend wird sie im Palazzo del Cinema auf der Lido-Insel zum 69. Mal feierlich eröffnet; die Gründung datiert sogar auf August 1932 (in manchen Jahren fand kein Festival statt, deswegen ist die diesjährige Mostra nicht die 81.). Ein runder Geburtstag steht also ins Haus, gefeiert wird er unter anderem mit der Retrospektive „80!“, die rare Filme aus acht Festivaldekaden präsentiert.

Der Eröffnungsfilm ist eine pakistanisch-indisch-US-amerikanische Koproduktion, „The Reluctant Fundamentalist“, Mira Nair hat Regie geführt. Allem Anschein nach probt sie den Spagat zwischen privatem Schicksal und weltpolitischen Verwerfungen im Zeichen von 9/11, indem sie von einem pakistanischen Akademiker erzählt, der in den USA lehren wollte, den es aber nach dem 11. September 2001 zurück nach Lahore verschlug.

Das würdige Alter der Mostra verhindert Unkenrufe nicht. Eine Woche später beginnt das Internationale Filmfestival von Toronto, und viele Verleiher, Kritiker und Filmfunktionäre sagen, es gewinne gegenüber Venedig an kommerzieller und künstlerischer Bedeutung.

Das Festival von Locarno, das Anfang August stattfindet, findet viel Zuspruch unter Cinephilen, seit es von Olivier Père geleitet wird, der zuvor für die ehrgeizige Nebenreihe Quinzaine des réalisateurs in Cannes zuständig war (wobei Père, wie am Montag bekannt wurde, im Begriff ist, Locarno den Rücken zu kehren und Generaldirektor von Arte France Cinéma zu werden.)

Um die Kinoinfrastruktur auf der schmalen Insel zwischen Lagune und Adria steht es nicht gut, und einen nennenswerten Filmmarkt, den – man mache sich nichts vor – wirklichen Daseinsgrund internationaler Filmgroßveranstaltungen, gibt es nicht, weil dafür weder die Vorführsäle noch die Hotels zur Verfügung stehen.

Ein ehrgeiziges Bauprojekt sollte Abhilfe schaffen, doch als man die Gruben aushob, stieß man auf Asbest. Seither liegen die Flächen brach. Und damit nicht genug: Marco Müller, der als Impresario geschickt und als Cinephiler begnadet ist, hat im letzten Jahr endgültig das Handtuch geworfen und sich Richtung Rom verabschiedet, um das dortige Filmfestival zu leiten.

Und was passiert inmitten all dieser widrigen Umstände? Der neue Leiter, Alberto Barbera, zwischen 1999 und April 2002 schon einmal im Amt, stellt ein Programm vor, das vielversprechend zu nennen eine Untertreibung ist. Alle Bedenken verschwinden im Nu, sieht man sich die Liste der 18 Wettbewerbsfilme an. Neben anderen Regisseuren sind vertreten: Olivier Assayas, Marco Bellocchio, Brian De Palma, Takeshi Kitano, Harmony Korine, Terrence Malick, Brillante Mendoza, Valeria Sarmiento (Rañl Ruiz’ Witwe, sie stellte seinen letzten Film fertig), Ulrich Seidl und Paul Thomas Anderson.

Das ist genau die Mischung aus europäischem Autorenfilm, avanciertem Weltkino, US-Underground und etablierten US-Filmemachern, die man sich von einem A-Festival wünscht – beinahe so etwas wie ein feuchter Traum von einem Filmfestival.

Und damit nicht genug: In den Nebenreihen und außer Konkurrenz findet sich vieles, was neugierig macht und freudig stimmt – etwa ein neuer Film des unermüdlichen Portugiesen Manoel de Oliveira, der, obwohl er 103 Jahre alt ist, betörende Filme dreht.

Oder die am Stück präsentierte Fernsehserie „Shokuzai“ („Penance“) von Kiyoshi Kurosawa, einem japanischen Regisseur, der mit „Pulse“ Maßstäbe für zeitgenössisches Geisterkino setzte, zudem ein Dokumentarfilm von Spike Lee über Michael Jackson und dessen Album „Bad“. Aus Deutschland kommt ein Filmdebüt, „Du hast es versprochen“, von der Regisseurin Alex Schmidt, eine Mischung aus Psychothriller und Horrorfilm, das bei den „Midnight Movies“ laufen wird.

Und wer sagt, dass 80-Jährige nicht mir der Zeit gehen? Für all die, die nicht nach Venedig reisen können, bietet das Festival erstmals die Möglichkeit, ausgewählte Filme aus der Orizzonti-Sektion als Stream zu sehen, und zwar jeweils in den 24 Stunden, die auf die offizielle Premiere folgen. Für 4,20 Euro pro Langfilm oder Kurzfilmprogramm sind Sie dabei.

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