Kolumne London Eye: Viel und viel zu viel

Ein Thema vereint die Londoner: „Olympia 2012“. Die einen scheinen nicht genug von den Spielen zu bekommen, andere flüchten vor dem Rummel.

Ob mit oder ohne Olympiabrille, die Spiele sind überall Bild: dapd

Die Wahrheit ist, dass viele Londoner immer noch im Olympiarausch sind. Man trifft Leute wie den pensionierten Michael, der sich pro Tag sechs Stunden Olympia reinzieht, um nach dem Sportmarathon mit Fußball weiterzumachen. „It's all entertainment!“, lacht er zufrieden. Helen schaut sich alles lieber mit Stimmung im Pub an. „Wir feuern unsere Sportler an. Sie wissen, dass wir es tun, auch wenn sie uns nicht hören können.“

Team GB hat eine Geheimwaffe, Telepathie! Ben, 31, in kurzer Hose, und Alternativlook steigt von seinem Rennrad. Der Geschäftsführer eines Londoner Unternehmens gesteht, dass er Olympia auf seinem iPad ununterbrochen schaut, während er auf seinem Laptop zu arbeiteten versucht.

„Meine Arbeitseffizienz ist deshalb um mindestens 20% gesunken. Nicht so schlimm,“ behauptet er. „London hat gerade viele Besucher und wir treffen viele neue Geschäftspartner, vor allen Amerikaner. Bevor ich sie treffe, schaue ich immer noch schnell die letzten Medaillenupdates der USA. So habe ich positiven Gesprächsstoff!“, gesteht er.

Anders der Basketballfan, Steve Aminoff, aus Australien. Im Muskelshirt geht er müde und niedergeschlagen auf dem Gehweg. Er ist extra zu Olympia nach London geflogen, kann aber leider keine Karten bekommen. Heute stand er stundenlang vor den Olympiahallen und fragte nach Tickets, doch leider ohne Erfolg.

ist freier Autor der taz.

Einseitige Berichterstattung

Am Ende wurde er sogar vom rosa uniformierten Personal des Geländes verwiesen. Der Australier scheint vom Pech verfolgt. „Im TV kann ich nur das sehen, was BBC mir zeigen will!“ Er schimpft über britische Einseitigkeit der Berichterstattung, aber was er sehen will, ist recht speziell: „Nur die Basketballspiele mit Australien.“

Andre hat auch nicht nur Gutes über die Olympischen Spiele gehört. Sie nennt überteuerte Wohngegenden in der Nähe von Stratford und die Sponsorendeals als Beispiel. Sie verfolgt nur noch die wichtigsten Spiele.

Kashka hingegen ist absolute Gegenerin. Ihre kanadische Freundin, die neben ihr steht, möchte sagen, dass sie auch gute Erfahrungen mit dem Olympianachlass hatte, aber sie kommt seit über zehn Minuten nicht mehr zu Wort. Kashka hat alles über Olympia genau nachgelesen und mit Freunden nächtelang durchdiskutiert.

Die offiziellen Nachlass- und Nachhaltigkeitsstudien bezüglich London 2012 interessieren sie nicht. „Wieso sollte ich diese Propaganda lesen?“, fragt sie. Sie merkt nicht, dass Olympia sie eigentlich genauso ergriffen hat, wie die, die nur noch von Medaillen, der tollen Organisation, und dem tollen Feeling in London reden können.

Olympia all around

Im Hintergrund rennt ein Mann in Richtung U-Bahnhof. „Mir ist das alles zu viel“, stöhnt der Hausmeister, der John heißt. Die ganze Stadt sei seit Tagen im Olympia–Hype und keiner könnte mehr über andere Sachen als die Spiele reden. „Ich habe Olympia bei der Arbeit, in der Zeitung, im Radio, im Fernsehen und in den Nachrichtensendungen. Sogar die Anzeigetafeln am Bahnhof zeigen an, wieviele Medaillen Team GB jetzt gerade wieder eingesteckt hat.“

Vielleicht sollte er es Ann-Marie gleichtun. Sie lief in den letzten Monaten ihren eigenen London-Marathon und hat überhaupt nichts von den Spielen mitbekommen. „Ich habe gerade geheiratet, habe einen neuen Job, ziehe in ein neues Haus und bin schwanger“, zählt sie auf.

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Seit 2012 für die taz im ständigen Einsatz. In München geboren und aufgewachsen, machte er sein Abitur in Israel. Seit 1991 lebt er im Herzen Londons, wo er zunächst drei Hochschulabschlüsse absolvierte, unter anderem an der SOAS, wo er Politik und Geschichte studierte. Nach einer Rundfunkausbildung war er zunächst für DW im Einsatz. Neben dem Journalistischen war er unter anderem als qualifizierter Pilateslehrer, Universitätsassistent und für das britische Büro des jüdisch-palästinensischen Friedensdorfes Wahat al-Salam ~ Neve Shalom tätig. Für die taz bereist er nicht nur die abgelegensten Ecken Großbritanniens, sondern auch die Karibik und die Kanalinseln. Sein Buch über die Schoa "Soll sein Schulem. Verluste, Hass, Mord, Fragen der Identität aus autobiografischer Sicht," soll Ende 2024 oder Anfang 2025 erscheinen.

Seit 2012 für die taz im ständigen Einsatz. In München geboren und aufgewachsen, machte er sein Abitur in Israel. Seit 1991 lebt er im Herzen Londons, wo er zunächst drei Hochschulabschlüsse absolvierte, unter anderem an der SOAS, wo er Politik und Geschichte studierte. Nach einer Rundfunkausbildung war er zunächst für DW im Einsatz. Neben dem Journalistischen war er unter anderem als qualifizierter Pilateslehrer, Universitätsassistent und für das britische Büro des jüdisch-palästinensischen Friedensdorfes Wahat al-Salam ~ Neve Shalom tätig. Für die taz bereist er nicht nur die abgelegensten Ecken Großbritanniens, sondern auch die Karibik und die Kanalinseln. Sein Buch über die Schoa "Soll sein Schulem. Verluste, Hass, Mord, Fragen der Identität aus autobiografischer Sicht," soll Ende 2024 oder Anfang 2025 erscheinen.

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