Kolumne Luft und Liebe: Wahn und Schmodder

Breaking News im „Zeit“-Feuilleton: Die Welt ist kompliziert. Und im Internet gibt es gleichzeitig Feministinnen und krasse Pornos.

Ein bisschen Ordnung in einer chaotischen Welt. Bild: .marqs / photocase.de

Okay, ich muss mich korrigieren. Letzten Winter wünschte ich mir noch, ein alter, dicker Mann zu sein, nur für eine Woche. Heute muss ich sagen: nee. Ich möchte lieber nicht. Wenn es irgendeine noch so kleine Chance gibt, dass ich bei diesem Versuch ein etwa 60-jähriger Zeit-Feuilletonist werde, möchte ich lieber nicht.

Es muss so hart sein. Diese Angst. Diese Leere. Wo man früher noch jeden Morgen die Sekretärin mit „Hallo Fräulein, geile Titten“ grüßte, ist heute eisiges Schweigen. Die Sekretärin hat wegen der Frauenquote längst einen fett bezahlten Vorstandsposten; tippen muss man seitdem selber, einsam, verlassen, immer nur ein paar Klicks entfernt von überquellenden Pornoseiten, auf denen es – bittere Ironie – von Sekretärinnen nur so wimmelt.

Im schlimmsten Fall hat man in einem Fenster einen Text offen, in dem diese komische, geschlechtergerechte Sprache verwendet wird, und gleichzeitig in einem anderen Fenster Pornos voller Schwänze und Schmodder. Und während man noch versucht, diesen Gegensatz in seinem postmodern geplagten Hirn zusammenzukriegen, hat man, huch, quasi beim Atmen, aus Versehen irgendwelche Homosexuellen beleidigt, die aber auch immer im Weg stehen. Es ist einfach alles zu krass.

Jedenfalls stelle ich mir das so vor, seit ich letzte Woche im Zeit-Feuilleton den – höhö – „Aufschrei“ von Jens Jessen gelesen hab. Dem ist nämlich aufgefallen, dass es in der Gesellschaft solche und solche gibt und manchmal sind das sogar dieselben, glaubt er jedenfalls, vielleicht auch nicht, er ist nicht sicher.

Putzfimmel und Tüdelterror

Es gibt da einerseits die, die den öffentlichen Diskurs zurechtrücken wollen, die „twitternden Frauen“, die Feministinnen, die sich manchmal sogar untereinander streiten, auf jeden Fall aber „linguistische Tüdelei“ geil finden, die „selbst die Andeutung von Geschlechtlichkeit unter Verdacht stellt“, weil sie eine Art Putzfimmel haben, was Sprache und Sex betrifft. Alles muss sauber sein, nicht mal ne kleine Dirndl-Pointe darf man bringen, Tüdelterror.

Und es gibt die anderen, die sich im Internet Pornos der Sorte „krud und krudest“ reinziehen und in deren Welt alles voller Sex, Sex, Sex ist, voller „härtester Anmache“ und „brutaler Sexualpraktiken“. Und das in dem gleichen Netz, in dem auch die twitternden Frauen rumnerven.

Wow. Beides in einer Welt. Das ist, stellt Jessen fest, von Seiten des Diskurses, ein Paradox, verdrehte Prüderie, aber eher noch: Heuchelei – „die Praxis dulden, aber ihre sprachliche Abbildung verbieten“.

Warten aufs Glücksbärchiland

Wie dreist, dass die Feministinnen mit ihrem Sprachzeugs nicht warten, bis die Revolution vom Himmel geplumpst ist. Im „feministischen Wahn“ tun sie so – findet Jessen –, als wäre die Realität jetzt schon Glücksbärchiland, und das ist ein bisschen wie mit den Nazis und ihrer „Endlösung der Judenfrage“. Oder so.

Und weil Brüderle damals bloß das Medium der „wölfischen Menschennatur“ war, ist er mithin der wahre Revolutionär, der gesagt hat, was ist. Und uns damit – jetzt checke ich das – auf echt ausgefuchste Weise gezeigt hat, dass wir alle auf einer sehr unfertigen Baustelle leben.

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Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff

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