Kolumne Luft und Liebe: Knusper, knusper, Knäuschen

Die Hexenverfolgung ist seit dem Mittelalter vorbei? Falsch. Es gibt sie immer noch, und es gibt auch Hexen. Sie sind unrasiert.

Vollmond

Vollmond. Nicht im Bild: Betty Baziana (weil unsichtbar). Foto: imago / Eibner Europa

Quizfrage! Was glauben Sie, wann in Deutschland das letzte Mal Opfer von Hexenverfolgung rehabilitiert wurden? Nun ja: vor drei Wochen. In Gelnhausen, in Hessen. Das Mal davor war im April in Bamberg, da soll es jetzt eine Gedenktafel geben. Und davor in Rottweil. Da hat die Stadt in Baden-Württemberg die Opfer der Hexenprozesse “sozialethisch-moralisch rehabilitiert“.

Da kommen die jetzt natürlich sehr früh drauf, so ein paar Jahrhunderte später.

Wenn man „Hexenverbrennung“ im Internet sucht, ergänzt Google: „… im Mittelalter“. Das denkt man so, dass das im Mittelalter war. Die allermeisten Hexenverbrennungen fanden aber in der frühen Neuzeit statt, in der Zeit der Renaissance und zu Beginn der Aufklärung, von der man eigentlich eher so das Bild hat, dass die Leute da plötzlich irgendwie frisch im Kopf wurden.

In der Schule habe ich nichts über Hexenverfolgung gelernt. Thematisch waren wir wohl am nächsten dran, als wir auf Französisch Harry Potter lesen mussten (“Ari Pottär“).

Ich hätte sogar einen persönlichen Bezug gehabt zum Thema. Eine der größten Kränkungen meiner Jugend war, als meine Eltern mir erklärten, woher mein Name kommt. Meine ganze katholische Kindheit war ich der festen Überzeugung gewesen, nach einer Heiligen benannt zu sein. Bis ich erfuhr, dass ich nach der Margarita aus Bulgakows „Meister und Margarita“ benannt bin, und das ist, nun ja, eine Frau, die zur Hexe wird. Musste ich erst mal verarbeiten. Oder vielleicht bin ich noch dabei.

Warum sagt man heute immer noch „Hexenverfolgung“? Ohne Anführungszeichen, so, als hätte es wirklich mal Hexen gegeben. Das waren aber keine Hexen, die da gefoltert und getötet wurden. Meistens waren es Frauen, die aus dem Rahmen fielen. Zehntausende. Frauen, bei denen man nicht wusste, wovon sie lebten. Frauen ohne Ehemann. Fast immer arme Frauen. Alte Frauen. Hebammen auch, und Frauen, die sich mit Verhütung oder Abtreibung auskannten. Frauen, die sexuell in irgendeiner Weise auffielen. Prostituierte. Störrische, fluchende Frauen.

Silvia Federici erklärt in „Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation“ den Zusammenhang zwischen Hexenverfolgung und der Entstehung des Kapitalismus. (Ich empfehle das.)

Ich war gerade dabei, es zu lesen, als mir ein Text aus der Baseler Zeitung in die Hände fiel, der erklärt, warum die Freundin von Alexis Tsipras eine „linke Hexe“ ist. Betty Baziana sei eine ungepflegte, militante, feministische Kommunistin, die „Alexis im Griff“ hat, weil sie „die wahre Macht der Frau erkannt hat und sie auch gelegentlich als Tauschware einsetzt: Sex.“

Nun ist Verbrennen als Strafe heute selbst in der Schweiz nicht mehr en vogue. Es muss reichen, Baziana als unrasiert und herrisch zu bezeichnen. Mehr Horror geht eh kaum.

Die Welt hatte so was Ähnliches auch schon geschrieben. Erster Satz: „Am liebsten wäre Betty Baziana wohl unsichtbar geblieben.“

Na, na, na! Seid euch mal nicht zu sicher, liebe Hexenjäger. Wenn sie so magic ist, wie ihr schreibt, dann kann sie sich ganz bestimmt auch unsichtbar machen. Und wer weiß, wo sie gerade steckt. Hu huu!

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Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff

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