Kolumne Macht: Die Menschenrechte achten

Dass Betroffene im Israel-Palästina-Konflikt zu differenzierten Analysen kaum fähig sind, ist verständlich. Aber wir, die wir nur Beobachter sind?

Gewalt flammt wieder auf in Israel und Palästina. Szene am Kalandia-Checkpoint nahe Jerusalem. Bild: dpa

Die Schwierigkeit, den eigenen Prinzipien auch bei größter Sympathie für Betroffene treu zu bleiben, ist ein Klassiker der Menschenrechtsdebatte. Ob man Grundsätze immer und unter allen Umständen beachten will: Genau darum geht es im Zusammenhang mit Menschenrechten, mit dem Recht überhaupt. Jede Relativierung entwertet das Recht ebenso sehr wie es seine vollständige Missachtung täte. Ein Rechtsgrundsatz, der keine allgemeine Gültigkeit besitzt, ist keiner.

So schwer ist das doch nicht zu verstehen. Morde an Wehrlosen sind Verbrechen. Immer. Deshalb ist auch ein tödlicher Angriff auf Besucher einer Gebetsstätte – egal, an welchem Ort, egal, welcher Religion – durch nichts zu entschuldigen. Nicht durch vorangegangene bittere Erfahrungen, nicht durch vermeintliche oder reale Demütigungen, nicht durch andere Gewalttaten. Einfach durch nichts.

Weswegen es übrigens auch gar nicht nötig ist, die Klagen der Freunde von Attentätern über ihnen zugefügtes Unrecht als falsch oder verlogen abzuwehren. Diese Klagen mögen berechtigt sein oder nicht – es ändert nichts an der Verwerflichkeit der Tat. Über mildernde Umstände zu befinden, ist die Aufgabe von Richterinnen und Richtern, und sie müssen dabei die individuelle Situation der jeweiligen Angeklagten berücksichtigen.

Das kann die Öffentlichkeit – oder auch nur die veröffentlichte Meinung – nicht. Wenn sie nach Rechtfertigungen für Verbrechen sucht, dann ist das gleichbedeutend mit einer Relativierung dieser Verbrechen.

Ach, übrigens: Es ist nicht schlimmer, wenn Juden in einer Synagoge getötet werden als wenn Moslems in einer Moschee oder Christen in einer Kirche umgebracht werden. Alle diese Taten sind abscheulich.

Keine Möglichkeit der Gegenwehr

Ein Somalier und ein Syrer landen in Bayern. Nicht im Heim, sondern bei Privatleuten zu Hause. Warum einer von beiden bald wieder auszieht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. November 2014. Außerdem: Auf der Nordseeinsel Sylt wird ein japanischer Koch totgetreten. Eine Spurensuche auf der anderen Seite des Ferienidylls. Und: „Die Musik ist nichts für kleine Kinder.“ Der Rapper Haftbefehl im Interview. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Abscheulich ist aber auch Sippenhaft. Es gibt keine Rechtsgrundlage dafür, die Häuser – oder anderen Besitz – der Familien von Gewalttätern zu zerstören. Und zwar unabhängig davon, ob die Familien mit den Taten sympathisierten oder nicht. Summarische Kollektivstrafen ohne Gerichtsverfahren widersprechen internationalem und auch nationalem Recht.

Ein so schweres Verbrechen wie Mord lässt sich nicht mit einem Rechtsbruch wie der Zerstörung materieller Güter vergleichen? Das stimmt. Einerseits. Andererseits: Rechtswidriges staatliches Handeln ist in einer sehr spezifischen Hinsicht schlimmer als individuelle Verbrechen, verübt von Privatpersonen, das je sein können. Weil die Opfer von staatlicher Willkür ohnmächtig sind und bleiben. Sie haben keine Möglichkeit der Gegenwehr.

Es ist verständlich, wenn Betroffene – mittelbar und unmittelbar Betroffene – zu differenzierten Analysen weder fähig noch willens sind. Was aber wirklich beunruhigt: Wenn Beobachter sich so sehr mit Vorgängen identifizieren, die sehr weit entfernt stattfinden, dass sie eigenen Gefühlen und Überzeugungen den Platz von nüchternen Analysen einräumen.

Im Hinblick auf Israel und die palästinensischen Gebiete scheint diese Gefahr in Deutschland zu wachsen. Sage mir, welchen Rechtsbruch du erwähnst, welchen du verschweigst – und ich sage dir, wes Geistes Kind du bist. Manche Leitartikel lesen sich derzeit wie Solidaritätsbekundungen. Andere wie Kriegserklärungen.

Dabei könnte eine universale Achtung der Menschenrechte bei der Kommentierung dieses Themas hilfreich sein. Sie ist nämlich die Voraussetzung für Glaubwürdigkeit. Und nicht etwa eine Schönheitsverzierung. Bedrückend, dass dies nicht mehr Konsens zu sein scheint.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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