Kolumne Macht: Sogenannt selbsternannt

Es gibt keinen Grund, den US-Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders abzuqualifizieren. Einige deutsche Kommentatoren tun das dennoch.

Bernie Sanders mit erhobener Hand

Bernie Sanders – würde er Präsident, ginge es vielen Amerikanern besser. Foto: dpa

Eine seltsame Zuschreibung hat sich für Bernie Sanders, einen der Präsidentschaftskandidaten der US-Demokraten, hierzulande eingebürgert: Als „selbsternannter Sozialist“ wird er immer häufiger bezeichnet – und zwar ausgerechnet in Medien wie der Bild-Zeitung, n-tv und N24, die allesamt bisher nicht durch große Sympathien für die Reinheit der sozialistischen Lehre aufgefallen sind. Die Formulierung bringt einen ins Grübeln. Gibt es auch selbsternannte FDP-Anhänger?

Wenn jemand seine oder ihre Überzeugung nicht selbst erklären soll, dann muss sie verliehen werden. Wer ist dafür zuständig? Der Papst? Das Nobelpreiskomitee? Der deutsche Buchhandel? Eine hübsche Vorstellung. „Der im vergangenen Jahr in einer feierlichen Zeremonie zum Sozialisten ernannte Bernie Sanders hat die Vorwahlen in New Hampshire gewonnen.“ Das klingt denn doch etwas bizarr. Genug geblödelt.

Wenn es nur darum ginge, Redaktionen einen Fehler nachzuweisen, die ohnehin nicht für ihr stetes Ringen um sachliche Berichterstattung berühmt sind – es wäre der Mühe nicht wert. Aber Sprache ist eben verräterisch. Der Zusatz „selbsternannt“ deutet auf Anmaßung hin, gar auf Hochstapelei. Also im günstigen Falle auf mangelnde Seriosität, möglicherweise jedoch sogar auf kriminelle Energie.

Und Sprache ist nicht nur verräterisch, sondern bekanntlich auch eine Form der Manipulation. Wenn man den Namen Bernie Sanders nur oft genug im Zusammenhang mit einer halbseidenen Zuschreibung gehört hat, dann wird schon etwas hängen bleiben.

Der „selbsternannte islamische Staat“ ist eine gängige und korrekte Formulierung. Es gibt völkerrechtliche klar definierte Regeln, welchen Anforderungen ein Staat genügen muss, um einer zu sein. Die Terrormiliz erfüllt diese nicht.

Die Menschheit hat ein Gewaltproblem. Kann man das ändern, wenn man den Nachwuchs entsprechend erzieht? Lesen Sie mehr darüber in der taz.am wochenende vom 13./14. Januar 2016. Außerdem: Ryan Gattis hat einen genau recherchierten Roman über die L.A. Riots geschrieben – "In den Straßen die Wut". Und: Batumi in Georgien ist eine absurde Stadt, besonders im Winter. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

So einfach, so klar. Aber welche Anforderungen erfüllt Bernie Sanders nicht, die ihm erlaubten, das tun zu dürfen, was er tut?

Sprachliche Manipulation

Einige lassen sich da durchaus nennen. Zum Beispiel: Die US-Experten der Bild-Zeitung und anderer Medien hatten ihn nicht als ernst zu nehmenden Kandidaten auf der Rechnung. Das genügt eigentlich schon, um ihn als unseriös abzuqualifizieren. Wenn ein hergelaufender US-Senator die schönsten Analysen kaputt macht, dann hat er dafür jede Strafe verdient.

Nun hat auch der unsägliche US-Republikaner Donald Trump viele kluge Vorhersagen von einer Woche auf die andere zur Makulatur gemacht. Trotzdem will der Eindruck nicht weichen, dass man ihm das weniger übel nimmt als Bernie Sanders. Und dass in der Berichterstattung über ihn immer auch ein wenig Bewunderung mitschwingt.

Wenn ein hergelaufender US-Senator die schönsten Analysen kaputt macht, dann hat er dafür jede Strafe verdient.

Vielleicht liegt es daran, dass Sanders so viele absurde Pläne hat: Abschaffung von Studiengebühren, höhere Besteuerung von Milliardären, allgemeine Krankenversicherung, Erhöhung der Renten. Grotesk, oder? Na ja. Alltag halt in vielen Ländern der Europäischen Union. Und ziemlich gut für den sozialen Frieden.

Vielleicht, nein: wahrscheinlich würde es vielen Leuten in den USA mit einem Präsidenten, der Bernie Sanders heißt, besser gehen als bisher. Wahr ist allerdings auch, dass der es mit einem feindseligen Kongress vermutlich noch schwerer haben würde als seinerzeit Barack Obama, seine Pläne zu verwirklichen. Und deshalb soll er es nicht einmal versuchen dürfen?

Man ahnt, warum so viele – auch so viele junge – Leute den Kandidaten toll finden. Zum einen, weil es keinen Grund für eine Kapitulation noch vor dem Kampf gibt. Und zum anderen: weil die Arroganz der – vermeintlichen – Macht und der Realpolitik zum Widerstand geradezu herausfordert.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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