Kolumne Männer: Stärke in Herrengröße ist ausverkauft

Während „starke Frauen“ sich nackt fotografieren lassen, rauben „starke Männer“ Touristen aus. Mit Gleichstellung hat das nichts zu tun.

Es gibt viele schöne Gründe, Menschen aufgrund von Oberflächlichkeiten abzuurteilen. Aufzeichnung zur Show „Schlager des Jahres“. Bild: dapd

Wie gefällt Ihnen folgender Liedtext? Räusper: „Mann unter vielen Frauen / Hast’s nicht leicht gehabt / Und die großen Träume / haben meist nicht geklappt. / Du bist immer wieder aufgestanden / Du hast so oft ganz neu angefangen / Dass du geweint hast, ist wahrscheinlich / Doch starke Männer weinen heimlich.“ Sollte das Schicksal Sie bislang gnädig behandelt haben, (sollten Sie also die Achtzigerjahre und ihre Schlagersendungen nicht erlebt haben), dann könnte Ihre Antwort so lauten: „Kommt das von so ’nem Freak aus einer dieser beknackten Männerparteien?“ Das schrieb mir eine junge Facebook-Bekannte, als ich diese Zeilen in meinem Profil platzierte.

Hat Sie die vielgeschmähte Gnade der späten Geburt hingegen übersehen, dann wissen Sie vielleicht, dass der vermeintliche Männerparteienfreaksong von Hanne Haller stammt. Einziger Unterschied: Wo hier „Mann“ und „Männer“ steht, sang das Schlagersternchen 1986 wehmütig von „Frau“ und „Frauen“. Ich habe die Wörter ausgetauscht. Was ich mit dem Wortwechsel sagen möchte: In der öffentlichen Wahrnehmung macht es einen Heidenunterschied, ob von „starken Frauen“ oder „starken Männern“ die Rede ist. (Auch wichtig zu wissen: Eigentlich höre ich keinen Schlager.)

Ich habe mal „starke Frauen“ in der Archivsuche eingetippt. „Starke Frauen“ sind demnach solche, die sich von der Fotografin Herlinde Koelbl nackt in Schwarz-Weiß fotografieren lassen. Ein Feuilleton-Artikel in der FAZ über Flugblätter im 17. Jahrhundert begann vor Kurzem mit dem Satz: „Starke Frauen und ängstliche Männer, ergebene Weibchen und tyrannische Gatten gehören zur Vielfalt menschlicher Natur.“ Starke Männer – was immer das genau sein mag – gehören demnach nicht zur menschlichen Natur.

Die Lieblingsschwester der „starken Frau“ ist die „mutige Frau“. Sie findet beispielsweise in der taz Erwähnung, wenn sie als syrische Mutter Ehemann und Söhnen was zu essen macht, damit diese sich im Bürgerkrieg satt massakrieren lassen können. Titel: „Kochen für die Revolution“.

„Starke Männer“ hingegen sind nicht solche, die den Schneid haben, sich nackt fotografieren zu lassen. Sondern a) Kerle, die Touristen in Kiew ausrauben. Oder b) afrikanische Diktatoren. Oder c) kroatische Mafiosi. Positiv besetzte Stärke in Herrengröße ist ausverkauft.

Finden Sie die Bemühung des Adjektivs „stark“ nicht auch merkwürdig? Wenn es einer besonderen Erwähnung bedarf, dass eine Frau „stark“ ist, heißt das doch, dass Frauen normalerweise nicht stark sind, also schwach. Dass der übliche Aggregatzustand von Frauen „schwach“ ist, glaube ich aber genauso wenig, wie, dass ein starker Mann einer ist, der Kenia knechtet.

Wahre Gleichstellung der Geschlechter wird erst herrschen, wenn wir Menschen nicht allein aufgrund ihres Geschlechts einen moralischen Wert zu- oder absprechen. Es gibt doch viele schöne Gründe, Menschen aufgrund von Oberflächlichkeiten abzuurteilen. Zum Beispiel, weil sie Schlager hören.

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Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

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