Kolumne Minority Report: Eine schrecklich weiße Familie

Die Neuregelung von Union und SPD zum Familiennachzug von Geflüchteten ist nationalistisch. Von wegen „Wir machen Familien stark“!

Eine syrische Familie mit drei Kindern, Vater und Mutter

Der Stopp für den Familiennachzug wurde bis zum 1. August verlängert Foto: dpa

„Wir machen Familien stark.“ Raten Sie mal, woher dieses Zitat stammt? a) Milchschnitte-Werbung, b) Sister-Sledge-Song, c) SPD-Wahlprogramm. Okay, gut, dieser Tage ist es nicht ganz einfach, diesen Satz richtig zu verorten. Denn die Familie, die im Wahlkampf wie kein anderes Thema von allen Seiten ausgeschlachtet wird, ist in der vergangenen Woche in Deutschland für tot erklärt worden. Zumindest für einen Teil unserer Gesellschaft.

Unter Familie verstehen nämlich Union („Familien und Kinder im Mittelpunkt“) und SPD allem Anschein nach lediglich den Zusammenschluss von Personen mit folgenden Merkmalen: weiß, Kartoffel, gültiger Aufenthaltstitel. Alle anderen sollen ihre Partner*innen und Kinder vergessen. Sich dennoch schleunigst integrieren, aber bald bitte wieder ihre Sachen packen und gehen. Klingt nach Dorfnazi am Stammtisch – ist aber eine Neuregelung von Union und SPD.

Nicht nur wurde der Stopp für die Familienzusammenführung subsidiärer Flüchtlinge bis 1. August verlängert. Als Anschlussregelung setzte die Große Koalition den Rechtsanspruch auf Familiennachzug für Geflüchtete mit begrenztem Schutzstatus endgültig aus. Maximal 1.000 Personen dürften danach noch pro Monat nachziehen – plus Härtefälle.

Können Sie mir eine aufgrund von Krieg vertriebene und auf der Flucht in zwei geteilte Familie zeigen, die keinen Härtefall darstellt?

Kinder- und frauenfeindlicher Kurs

Nie wieder will ich auch nur ein jämmerliches Wort über die armen Familien hören, die jahrzehntelang durch die innerdeutsche Grenze geteilt wurden. Interessiert mich nicht mehr. Wir sehen Bilder, auf denen das türkische Militär auf deutschen Leopard-2-Panzern in Afrin auffährt, um Krieg zu führen. Afrin, eines der letzten inländischen Schutzgebiete für Tausende von syrischen Geflüchteten. Mit deutschen Waffen werden noch mehr Menschen von dort vertrieben. Deutsche Grenzen aber weisen immer mehr Vertriebene ab. Hallo?

Wie erbärmlich. Die Große Koalition offenbart mit dieser Einigung nicht nur einen nationalistischen, sondern auch einen kinder- und frauenfeindlichen Kurs. Sie sind es nämlich, die vornehmlich von dieser willkürlichen Obergrenze betroffen sein werden. Zurückgebliebene, die den Weg über das Mittelmeer nicht überlebt hätten. Die Schwachen und vielleicht auch Verletzten, die jetzt in Höhlen ausharren müssen, weil niemand auf die Idee kommt, die Türkei daran zu hindern, die letzten Schutzgebiete Syriens auch noch in Schutt zu legen.

„Ein bisschen Barmherzigkeit braucht man auch“, sagte Thomas de Maizière, als er den „Kompromiss“ zwischen Union und SPD vorstellt. Aber Barmherzigkeit braucht eigentlich kein Mensch. Es geht klar um eine humanitäre Verantwortung, die Deutschland als wohlhabendes, mächtiges, Rüstung exportierendes Land trägt. Und dieser lässt sich ohne Recht auf Familiennachzug für Geflüchtete nicht gerecht werden.

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ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).

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