Kolumne Mittelalter: Deutsche Kellergeister

Alle reden von Obergrenzen für Flüchtlinge. Aber tief unten in den deutschen Kellern – da ist auch ganz schön was los.

Zombiesoldat

Uralte Ängste, von der Gegenwart befeuert. Foto: dpa

Die Deutschen, sagt diese Woche eine Umfrage, haben Angst. Ich habe einen Keller.

Kürzlich ging ich mal wieder runter. Es ist ein großer, heller, trockener Keller, ohne Ratten und Spinnen. Eine Ausnahme in Berlin, die Stadt ist bekanntlich auf Sumpf gebaut (das historische Gedächtnis daran hat am innigsten die Berliner SPD bewahrt – aber ich will nicht in Lokaljournalismus verfallen).

In Kartons im Keller liegen die meisten meiner Bücher. Der Umzug ist schon eine Weile her. Ungefähr ein Drittel habe ich die Reise von Neukölln nach Kreuzberg gar nicht antreten, sondern sie von einem Altbücherabholdienst in die Gemeinnützigkeit überführen lassen.

Schon eine Weile hatte ich nämlich das Gefühl gehabt, dass mich diese Bücher lange genug begleitet hatten; dass sie verschärft gesagt nur noch von rein sentimentalen Wert in einer Welt sein würden, die für Sentimentalitäten keine Muße mehr hat.

Schnaps und Zigaretten

Aber nun stelle ich fest, dass ich auch nach den Büchern im Keller wenig Sehnsucht verspüre. Sie in mein neues Wohnzimmer zu schleppen und das entsprechende Regalmodul auszuwählen und aufzubauen . . .? Da regt sich nichts.

Ich war auch nicht wegen der Bücher in den Keller gekommen, sondern wegen der Weihnachtssachen. Aber als ich nach Baumständer und Krippe suchte, überkam mich auf einmal der Gedanke, dass man in diesem schönen trockenen Keller doch wunderbar eine Kiste Wasser, einen Karton mit haltbaren Lebensmitteln sowie eine Kiste mit zukünftigen Tauschwaren wie Schnaps, Zigaretten, Tee und Kaffee einlagern könnte.

Später in der Wohnung am Rechner schlug mir Facebook die Seite Vorbereiter.com vor. Ich musste nur einen kurzen Blick auf sie werfen, um zu verstehen, dass diese Seite für Menschen gemacht ist, die in ihren trockenen Keller gehen, um die Weihnachtssachen zu holen und denen dann plötzlich einfällt, dass ihr Keller sich doch eigentlich sehr gut für die Einlagerung von einem Sechserpack Wasser, einem Karton mit haltbaren Lebensmitteln sowie einer Kiste mit zukünftigen Tauschwaren wie Zigaretten, Schnaps, Tee und Kaffee eignen würde.

Ich erzählte das meiner Freundin. Meine Freundin zog die Augenbraue hoch. Ich weiß, sagte ich.

Ich weiß nicht, wie ich auf solche Spinnereien komme. Ich bin so gesettled wie seit meiner Kindheit nicht mehr. Und ich habe einen trockenen Keller, verdammt! Wovor habe ich Angst? Und wovor haben die Deutschen Angst? Und für wen? Für ihre Kinder? Warum ist dann ausgerechnet der failed freestate Sachsen das Land mit der höchsten Geburtenziffer in Deutschland, wie brandaktuell das Statistische Bundesamt meldet? Sind es die Flüchtlinge? Ich habe keine Angst vor Flüchtlingen, ich arbeite ja nicht beim Deutschlandfunk. Ist es das syrische Inferno? Das syrische Inferno ist in Syrien – dort leben die Menschen in ihren Kellern.

Wahrscheinlich bin ich in meinem Keller einfach an meine persönliche Untergrenze gestoßen. Als Gegenwartssüchtiger und als Medienkonsument. Ich habe jetzt angefangen, die alten Bücher hochzutragen.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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