Kolumne Mittelalter: Schweigen ist old

Wer älter wird, redet weniger. Einige Notizen zur stillen Phase des Lebens, nebst einiger literarischer Verweise auf dieselbe.

Mann mit weißem Bart im Ledersessel

Der alternde Mensch verteidigt sein Menschsein, indem er öfter schweigt Foto: imago/Westend61

Wer älter wird, wird stummer – oder sollte es jedenfalls sein, will er weiterhin ernst genommen werden oder wenigstens beliebt bleiben: Weder die eigenen Kinder noch die jüngeren Menschen um einen herum goutieren es, wenn Papa vom Nachkrieg erzählt. Auch seinem Partner gegenüber tut der mittelalte Mensch gut daran, sich zurückzuhalten, denn ob er nun seine größten oder seine peinlichsten Momente zum Besten gibt – die dazwischen sind eh langweilig –, er kann nur verlieren: an Respekt und an Attraktivität, gerade den beiden Attributen also, die ohnehin im Schwinden begriffen sind.

Im besten Fall redet der alternde Mensch nur dann von sich, wenn er gefragt wird, womit er sich merkwürdigerweise in das liebevoll-autoritär erzogene Kind zurückverwandelt, das er einst gewesen ist.

Dieses zwangsentdeckte Kind im Mann macht aus den Jüngeren die eigentlich redeermächtigten Erwachsenen. Sie dürfen mit der Blasfreude von Babywalen Wortfontänen in die Gesprächsrunden sprühen und sehen bezaubernd dabei aus, ganz im Sinne des schönen Dialogs aus Georg Büchners Stück „Dantons Tod“:

Camille: Was sagst du, Lucile?

Lucile: Nichts, ich seh dich so gern sprechen.

Camille: Hörst mich auch?

Lucile: Ei freilich!

Camille: Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe?

Lucile: Nein, wahrhaftig nicht.

Das Verstummen ist vollkommen

Der ältere Mensch verstummt nämlich nicht nur, weil er lebensklug weder die eigene noch die Zeit der anderen zu verschwenden beabsichtigt; sondern, aus demselben Grund, hört er auch weniger genau zu – es sei denn, er wollte damit etwas erreichen: Nichts schließlich bringt einen in zwischenmenschlichen Affären weiter als das Zuhören.

Dafür, dass er stumm geworden ist, wird der ältere Mensch paradoxerweise aber auch angegriffen: Warum er denn gar nichts mehr sage, so ein alter Grantler geworden sei etc. Hier kann man an den sowjetischen Schriftsteller Isaak Babel denken, der ebendiese Doppelbotschaft unter deutlich dramatischeren Umständen auszuhalten hatte. Alle, klagte Babel kurz vor seiner Verhaftung, fragten ihn, wann er Neues publiziere, aber wenn er es denn unter dem Regime Stalins tatsächlich täte, dann – „Addio Mare“. Die Anekdote beschreibt auch noch die zugehörige Handbewegung Babels – die Hand schneidet die Gurgel durch, das Verstummen ist vollkommen.

Wenn Sie nun berechtigterweise anmerken, dass Sie privat, in der Arbeit sowie nicht zuletzt im öffentlichen Raum von die Worte kaum halten könnenden melierten Wut- und Wichtigbürgern umzingelt sind, dann kann ich für meine Zwecke hier nur sagen: Der abschließende Grund, warum der alternde Mensch sein Menschsein verteidigt, indem er zunehmend schweigt, sind die anderen alternden Menschen. Am Ende nicht nur dieses Textes hier steht man eben immer alleine da. Pier Paolo Pasolini: „La mia indipendenza, che è la mia forza, implica la solitudine, che è la mia debolezza.“ Meine Unabhängigkeit, die meine Stärke ist, bedingt die Einsamkeit, die meine Schwäche ist.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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