Kolumne Nebensachen aus Athen: Einfach die Maut umfahren

Aktivisten stürmen die Mautstation und lassen für ein paar Stunden die Autos umsonst durchfahren. Dabei verhalten sie sich tadellos, was nicht selbstverständlich ist.

Sokrates musste sich seinerzeit dem Todesurteil der Athener Demokratie beugen, obwohl er sich nicht schuldig bekannte. Lieber wollte er sterben als das Gesetz brechen, belehrte der Philosoph seine Schüler und trank anschließend den Schierlingsbecher.

2.410 Jahre später wimmelt es in Hellas vor lauter Nachsokratikern, die es mit der Gesetzestreue nicht so genau nehmen. Vor allem dann, wenn sie das Gefühl haben, sie würden durch das Gesetz völlig geschröpft. Und so nimmt der griechische Aufstand gegen steigende Autobahngebühren seinen Lauf: Aktivisten stürmen die Mautstationen, schieben die Schranke hoch und lassen einfach alle Autos für ein paar Stunden zum Nulltarif durchfahren.

Die Polizei betrachtet das Ganze als Kavaliersdelikt und hält sich vornehm zurück. Mittlerweile fühlen sich viele Berufspendler ermutigt, selbst Hand anzulegen und die Schranke zu öffnen, auch wenn gerade keine Protestaktion ansteht.

JANNIS PAPADIMITRIOU ist freier Autor der taz in Athen.

Mutieren unbescholtene Familienväter zu Anarchisten? Aus ökonomischer Sicht ist die Aufregung nachvollziehbar. Denn die griechischen Autobahngebühren sind schon hoch genug und sollen noch weiter angehoben werden. Für eine einfache Fahrt von Athen nach Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt des Landes, müssen Reisende knapp 30 Euro Maut berappen. Für das Geld hätte man auch ein Jahr lang kreuz und quer durch die Schweiz fahren können.

Zudem müssen Autofahrer Gebühren für die Benutzung von Autobahnen zahlen, die es noch gar nicht gibt. Da versteht der ohnehin krisengeplagte Grieche keinen Spaß mehr.

Die große Frage der Gesetzestreue aber bleibt: Wo kämen wir hin, wenn jeder Pendler selbst entscheiden würde, ob autobahnrechtliche Vorschriften angewendet werden oder nicht? Das Argument ist nicht von der Hand zu weisen.

Zur Entlastung der Mautpreller muss man jedoch anführen, dass ihr Verhalten ansonsten tadellos ist. Das ist gar nicht so selbstverständlich bei spontanen Protestaktionen in turbulenten Krisenzeiten. Da kann es auch schon mal vorkommen, dass die Akropolis kurzerhand besetzt wird oder dass ein Chefbüro von aufgebrachten Mitarbeitern mit Ziegelsteinen zugemauert wird. Bei alledem übt sich die Regierung in weiser Zurückhaltung. Oder sie hält es mit Sokrates: "Ich weiß, dass ich nichts weiß", soll einst der Philosophielehrer gesagt haben.

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