Kolumne Olympyada-yada-yada: Breakdance auf der Agora

Das greise olympische Komitee gibt sich jung und innovativ. Neue Sportarten sollen den Wettstreit erweitern – der Grund dafür ist klar.

Zwei BMX-Fahrer machen einen Trick auf einer Schanze vor einem Sonnenuntergang

Eben noch Olympia mitnehmen: Mit dem BMX der Sonne entgegen Foto: reuters

BERLIN taz | Die Olympischen Spielmacher sind nicht aus der Zeit gefallen. Sie hocken auf dem Sozius des Zeitgeistes, der mal einen zweirädrigen Eintakter lenkt und ein andermal einen Vierzylinder mit 1.200 Kubik. Je schneller es dahin geht, desto ängstlicher umklammern sie ihn.

Es sollte also nicht verwundern, wenn zum zirzensischen Vergnügen anno 1900 über 300 Tauben abgeballert wurden. Man schoss mit einer zweiläufigen Schrotflinte auf die armen Vögel, die dem menschlichen Vergnügungswillen hilflos ausgeliefert waren. Die Herren der Olympischen Spiele – die meiste Zeit über waren es Herren – dachten sich noch allerhand anderes Pläsier aus, um ihren sportlichen Ehrgeiz zu stillen und die Massen in ihre olympische Manege zu locken.

Man kletterte Seile hoch, zog an ihnen, Pfundskerle stemmten einarmig Gewichte in den Disziplinen Reißen und Stoßen in die Höhe, 1908 zischte man mit Motorbooten über die Themse, 1904 ergötzten sich die Zuschauer an den Vorführungen von Kopfspringern, vier Jahre vorher ließen Reiter ihre Pferde weitspringen, Tandemradler kurvten noch bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf den olympischen Ovalen herum, und einmal wurde sogar mit links und rechts der Diskus geworfen.

Wenn BMX-Piloten vereinnahmt werden

Der Einfallsreichtum war groß, und was damals den Gepflogenheiten entsprach oder der Lust sportiven Experimentierens entsprang, wird heute zumeist der Graswurzel entrissen. Der olympische Betrieb wird ganz schnell zu einem kapitalistischen, wenn es darum geht, den Randsport der Straße und der coolen Kids in die hehren Hallen der Institution zu überführen.

Nichts ist in dieser Hinsicht vor den Olympiern sicher, nicht die BMX-Fahrer, die Boarder, und auch nicht die Kletterer. Alles, was das Potenzial hat, von Red Bull vermarktet zu werden, wird irgendwann auch als vermeintlich fette Beute ins Reich der fünf Ringe gezerrt. Das Olympische Komitee mit seinem gefühlten Durchschnittsalter von 72 Jahren und einem gefühlten Frauenanteil von sechs Prozent (real: 57 Jahre bzw. 33 Prozent) wird plötzlich agil, wenn es darum geht, in einem Akt des Astroturfing modern rüberzukommen. Die Botschaft ist klar: Hey Leute, wir sind kein Haufen Greise mit nächtlichem Harndrang, weit gefehlt, wir wissen, was die Stunde geschlagen hat!

Ach ja?

Die Olympier sind auf der Suche nach Anschluss – und werden dabei übergriffig. Sie fingern sich an Sportarten heran, die eigentlich nicht zu ihrem Beuteschema gehören. Ihre Kernkompetenz liegt im Schwimmen, Fechten oder Fünfkämpfen, mit diesen willigen Arten gehen sie schon seit Jahrzehnten ins Bett.

Neu auf der Agora: Sportklettern und Breakdance

Aber das Ranwanzen an die Sportarten der Postmoderne, an die schnell erwachsen gewordenen Coolness-Dinger hat etwas #MeToo-Artiges. Die Herren vergreifen sich natürlich trotzdem, weil sie wissen, dass diese neuen Typen und Typinnen Zuspruch und Penunsen versprechen. Olympia muss mithalten im Wettstreit um Aufmerksamkeit, den der Fußball zu beherrschen droht. In diesem Fight ist jedes Mittel recht.

In Tokio, also in gut einem Jahr, tummeln sich diese Sportarten neu auf der Agora: Baseball (nur für Männer), Softball (Frauen), Karate, Sportklettern, Skateboard und Surfen. Vor allem die Sportkletterer und die Boarder hadern mit ihrem Schicksal, in die höchste Kategorie des Kommerzsportes aufgestiegen zu sein. Sie sind wie alle ihre coolen Vorgänger innerlich zerrissen, weil sie wissen, dass sie sich an Olympia verkaufen, aber gleichzeitig in der Zwickmühle einer behaupteten Alternativlosigkeit stecken.

Sie können mitmachen und profitieren – oder sich heldenhaft verweigern und ihre moralische Überlegenheit abfeiern. Sie wissen, dass ihre Loyalität gegenüber den Idealen der guten alten Zeit teuer ist. Für viele zu teuer.

2024 in Paris soll übrigens Breakdance ins olympische Programm aufgenommen werden. Die Ausrichter der Sommerspiele in Paris wollen das so, sie versprechen sich eine „urbanere Dimension“. Die B-Boys der ersten Stunde dürften sich freilich einen Knoten in die Beine machen und die Batterien aus dem Ghettoblaster nehmen. Der Battle gegen die große Vereinnahmung könnte beginnen, wenn es da nicht diesen vertrackten Sog des Unvermeidlichen gäbe.

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