Kolumne Press-Schlag: Der Gegner sitzt im Kopf

Unser Autor ist an Multipler Sklerose erkrankt und kriegt ständig Mails von einem obskuren Fitness-Anbieter. Die Hürden beim Sport liegen, na klar, im Kopf.

Ein Mann mit nacktem Oberkörper liegt auf dem Rücken. Er hat die Beine angewinkelt

Wie jetzt? Einfach nur rumliegen geht gar nicht! (im Bild ist auch nicht der Autor) Foto: reuters

Gestern wachte ich morgens gegen viertel vor fünf auf. Für das Aufstehen brauchte ich eine knappe Viertelstunde. Dazu musste ich mich zunächst an meinem Bettgalgen festklammern und die Beine schräg über die Bettkante wuchten. Dann legte ich meine finnische Freundin Nokia in Griffweite, die wie immer die Nacht links neben meinem Ohr verbracht hatte. Und den Notfallknopf natürlich.

Sollte ich beim Aufstehen den Halt verlieren, würden die Notfallhelfer der Johanniter informiert, die dann mit quietschenden Reifen zur Hilfe eilten. Das ist besonders sinnvoll, weil meine Tür nur mit einem Schlüssel geöffnet werden kann. Andererseits müsste man die Feuerwehr rufen, die dann mit schwerem Gerät meine Tür aufbrechen würde. Kostet 220 Euro, die von keiner Versicherung übernommen werden. Nun, obwohl ich mich wie jeden Morgen in den parallel neben dem Bett stehenden Handrollstuhl wuchten musste, konnte ich frohgemut dem neuen Tag meinen Gruß entbieten.

Vielleicht sollte ich kurz erwähnen, warum ich meine Morgenroutine so episch schildere. Deshalb nämlich: Seit mittlerweile fünfzehn Jahren bin ich an Multipler Sklerose erkrankt. Diese Krankheit ist derzeit unheilbar. Sie wirkt im Hirn, wo sie den Informationsfluss in die Muskeln beeinträchtigt. Die Krankheit ist nicht ansteckend – also geben Sie mir ruhig die Hand.

Gleich nach meiner ersten Tasse Kaffee weckte ich den Computer. Der hat über Nacht bereits einige Nachrichten für mich gesammelt. Alle paar Tage ist eine Nachricht von www.fitbit.com dabei. Keine Ahnung, wie ich zu der Ehre kam, von denen bedacht zu werden. Womit die eigentlich handeln, wird auf den ersten Blick nicht klar.

Vegane Nerds

Mit Fitness irgendwie. Und damit, jeden Tag ein Fitnessprogramm zu absolvieren. Und das Programm sofort zu steigern, wenn man es mehr als einmal geschafft hat. Inklusive geistiger Beschäftigung mit den eigenen Blockaden. Denn der eigentliche Gegner sitzt ja eigentlich nicht in den schlappen Muskeln, sondern im Kopf. Außer natürlich, man hat eine unheilbare Krankheit. Aber wer hat die schon?

Wenn man Fragen hat, kann man fitbit.com übrigens auch eine Mail schicken. Auf eine Antwort wird man zwar vergeblich warten. Aber das Gefühl, dass auf der anderen Seite der Leitung Menschen sitzen, die sich der Probleme annehmen, ist doch eigentlich das Wichtigste. Wen kümmert es da schon, dass die Fragen immer nur mit einer Standardmail beantwortet werden.

Obwohl: Je länger fitbit.com mich ignoriert, desto häufiger dämmert mir, dass die Mitarbeiter gar nicht mehr dem Klischee entsprechen, das ich die letzten zwanzig Jahre hatte. Sind das etwa gar keine ungesund aussehenden Nerds mehr? Vielleicht treiben die ja mittlerweile dreimal pro Woche Sport? Leben vegan und haben Familien? Der Autor dieser Zeilen wird es nie erfahren.

Immerhin: Alle paar Tage spendiert fitbit.com auch etwas. Und zwar ein virtuelles Abzeichen. Die letzten beiden Abzeichen des Autors dieser Zeilen waren das Ausgehschuh-Abzeichen für 25.000 Schritte. Und das Hawaii-Abzeichen für 563 Kilometer zu Fuß. Das werde ich einfach mal mit meinem Physiotherapeuten besprechen. Denn dass fitbit.com einfach eine Rotte von skrupellosen Unternehmern ist, die Behinderte schanghaien, ohne, dass diese sich wehren können – das kann der Autor einfach nicht glauben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.