Kolumne Pressschlag: Lehrstunde an der alten Fösterei

Im deutschen Fußball werden die Vergehen Einzelner mit Kollektivstrafen geahndet. Beispielhaft daran ist die organisierte Hilflosigkeit der Offiziellen.

Solidarisierten sich mit den Anhängern von Eintracht Frankfurt: die Fans von Union Berlin. Bild: dpa

Nanu, was ist denn in dieser Woche beim Deutschen Fußball-Bund passiert? Sperren für Auswärtsfans, so wurde am Dienstag verkündet, soll es künftig generell nicht mehr geben. Und im speziellen Falle von St. Pauli wollte man am Donnerstag doch nicht so kleinkariert sein. Die verhängte Teilaussperrung von St.-Pauli-Anhängern im eigenen Stadion wurde auch zurückgenommen und in eine Geldstrafe umgewandelt.

Bricht nun eine Tauwetterperiode an, obwohl sich gerade noch eine neue Eiszeit anzubahnen schien im Verhältnis zwischen dem mächtigen Verband und seiner leidenschaftlichsten und lautstärksten Kundschaft in den Stadien, den Ultragruppierungen.

Denn als der DFB bei den Gesprächen über eine begrenzte Legalisierung von Pyrotechnik die Schotten dicht machte, erstarrte die Kommunikation. Der DFB stellte klar, nur noch die Härte des Gesetzes sprechen lassen zu wollen – im Einzelrichterverfahren wie üblich.

Akt des zivilen Ungehorsams

So kam es auch wegen der Zündelei Einzelner zum kollektiven Ausschluss der Eintracht-Frankfurt-Fans beim Spiel in Berlin am Montag. Aber die Union-Fans solidarisierten sich mit den Abgestraften und besorgten ihnen reichlich Karten außerhalb des gesperrten Gästeblocks.

Ein Akt des zivilen Ungehorsams und gewaltfreien Widerstands, der auf den ersten Blick großen Erfolg hatte. DFB-Vizepräsident Rainer Koch erklärte just am Tag danach, der Kontrollausschuss, so etwas wie die Staatsanwaltschaft des Fußballs, werde künftig auf die Forderung nach einem Ausschluss der Auswärtsfans verzichten.

Die Lehrstunde an der Alten Försterei schien endlich gewirkt zu haben. Zuvor hatten den DFB immer wieder etliche Fanexperten davor gewarnt, Fußballanhänger in Sippenhaftung zu nehmen, weil dies zu einer Radikalisierung der moderaten Fans führe, ohne die aber eine Lösung des Gewaltproblems in den Stadien undenkbar sei.

Beginnt nun eine Zeit des differenzierten Denkens und Handelns an der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt? Sieht man sich die Erklärung von Koch genauer an, ist große Skepsis angebracht. Denn die Wirkungslosigkeit und nicht die Radikalisierungs-gefahr der Sanktion wird dort als Grund für deren Abschaffung angeführt.

Einführung von personalisierten Tickets

Und unterdessen forcieren die Hardliner in der „Task Force Sicherheit“, die aus Vertretern von DFB, DFL, Politik, Polizei, Justiz und Fanvertretern besteht, die Diskussion über die Einführung von personalisierten Tickets. Es wäre eine weitere – auch datenschutzrechtlich bedenkliche – Zuspitzung, die jeden Stadionbesucher unter den Generalverdacht der Gewaltbereitschaft stellen würde.

In den Grundschulen dieses Landes ist die Kollektivstrafe längst als Mittel der Steinzeitpädagogik verpönt. Nur einzelne hilflose Lehrer greifen darauf zurück. Im deutschen Fußball hingegen herrscht die organisierte Hilflosigkeit. Zuweilen treibt diese besondere Blüten.

Die Klubführung von Eintracht Frankfurt gab jüngst bekannt, das Geld, das man für Verfehlungen der eigenen Fans an den DFB berappen müsse, künftig von dem ausgelobten 50.000 Euro abzuziehen, die man an die deutschen Knochenmarkspenderdatei überweisen wolle.

Vorab werden also todkranke Menschen dazu instrumentalisiert, Fußballfans zu disziplinieren, und im Falle des Nichtgelingens hernach kollektiv mit abgestraft. Man muss einräumen: Auch steinzeitpädagogische Ansätze können innovativ sein.

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Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.

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