Kolumne Schlimmer: Leuchtende Straße des Fortschritts

Der Drang zur DDR kommt aus der Seele der Gesellschaft. Eine Mauer um Berlin? – Pah, ums ganze Internet wollen wir eine bauen.

„Manöver West“ in vollem Gange: Teilnehmer des Sachsen-Anhalt-Tages in Dessau tragen NVA-Uniformen auf. Bild: dapd

Hinten im Schlafzimmerschrank meiner Eltern hängt noch die alte Paradeuniform von den Panzertruppen der DDR. Mein Vater sagt, er brauche sie, „wenn das Manöver Westen zu Ende ist“. Nun, das Manöver ist bald vorbei. Die DDR ist da.

Es geht hier nicht um Äußerlichkeiten. Dass zwei Ossis das Land führen und in den geblümten Tischdecken der Arbeiter-und-Bauern-Macht zu flanieren als chic gilt – geschenkt. Der Drang zur Deutschen Demokratischen Republik kommt nicht aus der Mitte der Gesellschaft. Er kommt aus ihrer Seele.

Dorther, wo die neue Liebe zur Armee wohnt. Die Bravo, ehemaliges Zentralorgan der freien deutschen Jugend, bewirbt ein Militärlager für Kinder. In mir weckt das warme Erinnerungen an früher. Da dealte ich als Achtjähriger an der Schule mit bunten NVA-Heftchen voll praktischer Tipps für den Häuserkampf: Eine Panzerabwehrlenk-rakete schießt dreimal pro Minute, und aus dem Kettenfahrzeug MT-LB heraus muss der Feind mit Pistolen kaltgemacht werden. Falls der Name nicht mehr geschützt ist, könnte sich Bravo künftig Armeerundschau nennen. Dann klappt es nach der zweiten Wende wieder mit der Auflage.

Klar, dass die Jugend auf der leuchtenden Straße des Fortschritts voranmarschiert, aber erwachsene Medien schreiten lernwillig hinterdrein. Sozialistischer Journalismus will nicht die Welt beschreiben, sondern die Welt, wie sie sein sollte. Mohammed-Karikaturen? Sind die dekadenten Elaborate eines bourgeois-destruktiven Geistes, und um dieses Internet bauen wir bald ein kleines Mäuerchen.

Auch die Geheimdienste mühen sich. Die Stasi hatte das mit dem Rechtsextremismus effektiv gelöst: Es durfte ihn nicht geben. Alles, was die Neonazis auf der guten Seite der Mauer verbrachen, nannte der diensteifrigste Dienst der Welt „Rowdytum“. Die grauen Männer waren auf dem rechten Auge nicht nur blind, sie hatten keins. Umso emsiger jagten sie Punks und andere Linke. Okay, da ist heute noch Luft nach oben. Aber die fachmännische Handhabung von NSU und Linkspartei stimmt hoffnungsfroh.

Ebenso wie der wachsende Wunsch der Volksmassen nach Führung durch Erfahrung. Sie ließen sich am liebsten von einem alten Offizier regieren, dessen neues Buch mit dem Satz beworben wird: „Es gibt Fragen, auf die nur EINER eine Antwort hat …“ Dafür hätte sich Walter Ulbricht in sibirischer Finsternis wiedergefunden, wegen Anmaßung. Helmut Schmidt hat das mit dem Personenkult besser drauf, und die Zeit bringt ihn auch lieber als das Neue Deutschland die Kaderleichen von damals. In seinem Zentralkomitee ist sicher noch Platz für Peter Scholl-Latour, Franz Beckenbauer und Günter Grass.

Die DDR sei das deutschere Deutschland gewesen, sprach einst NPD-Mann Udo Voigt. Wenn er damit meinte, sie sei das Land gewesen, das dem deutschen Wesen genehmer sei, dann hatte der tumbe Tor dieses eine Mal recht.

Schlimmer: Ossi nimmt ausgezeichnetem Journalisten mit Migrationshintergrund den Kolumnenplatz weg. Einmal noch, dann wieder Deniz Yücel.

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Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.

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