Kolumne Talk of the Town: Endlich allein
Immer mehr Menschen in Deutschland leben laut Statistik als Singles. Na und? Sie nehmen sich eben die Freiheit so zu leben, wie es ihnen passt.
„I'm Single in the rain, Siiiiiingle in the rain …“ Bild: dapd
Als ob Hannover nicht schon genug Imageprobleme hätte: Nun ist die Stadt an der Leine, berüchtigt sowohl für notorische Durchschnittlichkeit als neuerdings auch für besonders eng gestrickte Verfilzungen, auch noch Deutschlands Single-Hauptstadt.
„In Niedersachsens Landeshauptstadt lebt bereits jeder Dritte allein“, so ruft es die Nachrichtenagentur AFP in das von Regenmassen überflutete Sommerloch hinein, und schlimmer noch: „2011 lebte in Deutschland jeder Fünfte allein, in zwei Jahrzehnten könnte es schon fast jeder Vierte sein.“
Nun kann man solcherlei statistische „Immer mehr und alles wird immer schlimmer“-Verlautbarungen ja auch auch mal umgedreht verinnerlichen: Auf nach Hannover! Nirgendwo sonst finden sich so viele Menschen, die mit offenen Augen durchs Leben gehen, kontaktfreudig sind und bereit, an einer Öffentlichkeit jenseits der Kleinfamilien-Knastmauern teilzunehmen.
Volle Tanzveranstaltungen, Cafés und Fußgängerzonen, immer mehr Menschen genießen ihre Freiheit ohne Verpflichtungen. Hannover, die Metropole der Promisken und Partymacher!
„Das Alleinleben ist ein fester Bestandteil der Lebenswirklichkeit in Deutschland“, sagt der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Roderich Egeler, Familienstand: unbekannt. Das hat ein Hannoveraner mal in ähnlicher Form über den Islam gesagt – und bei beiden Allgemeinplätzen finden sich Menschen, die sich an an solchen schlichten Tatsachen reiben können.
So liest sich das Alleinleben aus konservativ-christlicher Sicht vor allem apokalyptisch. Menschen, die allein leben, weichen von gottgefälligen, althergebrachten Normen ab: Es sind Frauen, die sich erdreisten, eine autonome Existenz zu bestreiten und darob noch sich erlauben, diese ohne Kinder zu denken.
Es sind Männer, die es wagen, den stets unter Verdacht stehenden Status des „Junggesellen“ einfach auf ewig in Anspruch zu nehmen. Dreist und verdächtig? Statistikamt Egeler hat die entsprechenden Zahlen: Alleinlebende beziehen überdurchschnittlich häufig Hartz-IV-Leistungen. Und die Armutsgefährdungsquote der Alleinlebenden sei mit 30 Prozent sogar doppelt so hoch wie im Bevölkerungsdurchschnitt.
Übermacht der Pärchen
Aus dieser Perspektive erscheint Hannover dann natürlich in einem ganz anderen Licht. Rund um den „Kröpke“, einem zentralen Platz in der Innenstadt, lungern Tausende und Abertausende emotional verwahrloste und finanziell Prekäre mit Bierflaschen rum. Singles am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Die Lebenswirklichkeit von Hannover und dem Rest des Landes müsste sich jedoch angesichts beider Szenarien irgendwo zwischen den Zahlenkolonnen der Statistiker abspielen. Jeder Single weiß aus der Ich-Empirie an Sonntagnachmittagen, dass die Pärchen eindeutig in der Mehrheit sind.
Kann es nicht einfach sein, dass diese Menschen allesamt in Singlehaushalten wohnen, weil sie ab und zu mal ihre Ruhe haben wollen? Trotz Partnerschaft? Jeder für sich und Gott für uns alle, sagt der Franzose. Und die Deutschen nehmen sich einfach die Freiheit, so zu leben, wie es ihnen passt: in Patchworkfamilien, Fernbeziehungen und Ehen in getrennten Wohnungen.
Leser*innenkommentare
Bertram in Mainz
Gast
Wer gibt schon zu, dass er unglücklich ist? Dieses positive Denken, dieser alberne Optimismus ist wie eine Staatsreligion, gegen die man nichts sagen darf.
Wer gibt schon zu, dass er einsam ist? Das scheint ein ganz großes Tabu zu sein! Auch die Psychologen reden individuelle Bindungen seit Jahrzehnten schlecht. Die werden als unerwünschte Abhängigkeiten gesehen.
Gar unglücklich, weil einsam? Das wagt nahezu niemand auch nur laut denken! Statistiken zu diesem Thema kann man in die Tonne treten. Und die ganzen Psycho-Ratgeber gleich dazu.
Alleinerziehende mit Fernbeziehung
Gast
Ein Grund ist unter anderem die "ach so groß geschriebene" Flexibilität, die das Berufsleben einem abverlangt. Ferner möchte man wohl kaum dem Partner auf der Tasche liegen, wenn man als Familie zusammenleben möchte und temporär erwerbslos ist, denn in genau solche Abhängigkeit drängt einen das System. Man wird zusammen veranschlagt, bekommt keinen Pfennig und muss sich vom verdienenden Partner aushalten lassen. Ich kenne Familien, die genau deshalb auseinander ziehen, nachdem die Frau mit den Worten "Ihr Partner verdient ja" nach der Probezeit entlassen wurde, obwohl sie eine der besten Verkäuferinnen war. Schlimm, dass diese Verhältnisse derart ins Privatleben eingreifen. Klar, jeder nach seiner Fasson, aber vielen dieser Singles ist dieser Zustand aufgedrückt worden und die sind bestimmt nicht so glücklich über ihren Zustand.
Rübezahl
Gast
Die meisten Alleinlebenden dürften Frauen über 74 sein. Ob die tatsächlich so promisk sind und dauernd Party machen? Ist aber doch echt dreist, dass die unbedingt allein leben wollen, statt sich in Altenheime zu quetschen und ihre großen, billigen Altbauwohnungen den Yuppies zu überlassen.
viccy
Gast
"Kleinfamilien-Knastmauern" - was muss in einem vorgehen, bevor man zu seinem solchen Ausdruck fähig ist?
Ein Glück, dass die eigenen Eltern nicht nur Ego-Trip gefahren sind, wa? Sonst wär nämlich heute Essig mit allem.
Wolfgang Banse
Gast
Einfamilienhaushalte bestimmen den Alltag
Single leben bewußt beziehungsweise unfreiwillig ihren Einpersonen Haushalt.Die Ursache hierfür sind vielföältig und vielschichtig.
Nicht jeder Single ist mit der Lage glücklich,die ihm auferlegt worden ist.Nicht jede und jeder ist für eine Patnerschaft geeignet,
Franziska Döbeln
Gast
Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch!
single malt
Gast
SUPER!!!
gerne gelesen.
danke
Gallier
Gast
Schopenhauer hatte Recht: Frei ist nur wer allein ist. Oder wie es in der Romantik hiess: Einsam aber frei.
Was nicht Partnerschaften oder engere Bindungen ausschliesst. Aber bitte ohne Trauschein und mit getrennten Wohnungen. Ich meine, solche Beziehungen halten vielleicht länger, sind intensiver, man geht sich nicht so schnell auf die Nerven. Und nichts ist tödlicher als Routine.
Ein überzeugter "Single".