Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Weniger Wut, mehr Selbstbewusstsein

Die drohenden Schließungen von Siemenswerken in strukturschwachen Regionen könnten Ost und West dazu bringen, näher zusammenzurücken.

Demonstrationsteilnehmer mit Gewerkschaftsfahnen vor einem Haus, einer hält ein Schild hoch auf dem "Auch ich bin Siemens" steht

Siemens-Mitarbeiter in Offenbach protestieren gegen die geplanten Werksschließungen Foto: dpa

Um als teilnehmende Beobachterin objektiv zu bleiben, hilft es, immer mal wieder die Außenperspektive einzunehmen. Alle Jahre wieder gelingt das besonders gut an Weihnachten in Oberbayern. Am zweiten Feiertag treffen sich Großtanten, Onkels und Cousinen zum Kaffee bei den Großeltern.

Im holzvertäfelten Wohnzimmer gibt es wie jedes Jahr den gleichen Apfelkuchen und wie immer kommt zuverlässig dieselbe Frage an mich: Und, wo wohnst du jetzt gerade? Als ich schon letztes Jahr mit „Leipzig“ geantwortet hatte, erntete ich fragende Blicke. Für viele in meiner Familie war es tatsächlich ein Rätsel, warum jemand freiwillig in den Osten ziehen sollte. Doch dieses Jahr war es anders.

„Na, de armen Leit“, sagt eine Tante und schaut meinen Onkel an. Er arbeitet bei Siemens. „Bei uns ist des ja wurscht, wenn Siemens Stellen abbaut, do gibt’s gnuag Oarbeit“, sagt sie. „Aber wos soin de Leit in Leipzig und Görlitz macha?“ In meiner Familie, die weitgehend unpolitisch ist, hatte ich so eine Reaktion noch nicht erlebt. Vom Süden Deutschlands aus blickt man an diesem Nachmittag gen Osten und versucht, Verständnis aufzubringen. So wie es im vergangenen Jahr nach der Bundestagswahl vor allem Medien und etliche Politiker*innen versucht hatten.

Auch wenn deren Theorien über „den unzufriedenen Ossi“ oft allzu platt waren, hat sich da wohl etwas in Bewegung gesetzt. Und so könnte 2018 das Jahr sein, in dem Westdeutsche Ostdeutschen endlich auf Augenhöhe begegnen. Es könnte das Jahr werden, in dem auch Menschen aus dem Osten weniger wütend, dafür selbstbewusster werden.

Im Rahmen der „Zukunftswerkstatt“ der taz erscheint jeden Freitag statt der Neuland-Seite eine eigene Seite für Leipzig, die taz.leipzig: geplant, produziert und geschrieben von jungen Journalist*innen vor Ort.

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Die Zeichen dafür stehen 2018 gut, zumindest wenn man Web-Astrologin Mauretania Gregor Glauben schenkt. Sie sieht für dieses Jahr zwei astrologische Sensationen auf uns zukommen: Saturn werde dafür sorgen, dass gesellschaftliche Missstände aufgedeckt werden und sich so mancher mit einem fulminanten Befreiungsschlag aus alten Abhängigkeiten befreit. Mit einer solchen stellaren Konstellation hätte sich das Universum ruhig mal etwas mehr beeilen können – und nicht nach der Wiedervereinigung noch 27 Jahre ins Land gehen lassen.

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Jahrgang 1991. Seit 2018 bei der taz, seit 2019 als Redakteurin im Auslandsressort mit Schwerpunkt online und Südosteuropa.

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