Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Leipzigs unsichtbare Grenze

Zugezogene bleiben gerne unter sich – und fühlen sich den alteingesessenen Leipzigern überlegen. Dabei würde ihnen ein wenig Stadtrandrealität gut tun.

Eine Straßenbahn fährt vor einer Häuserzeile um die Kurve.

Rein in die Straßenbahn: Warum nicht mal bei der Endhalte aussteigen? Foto: Flickr Schnitzel_bank

Neulich habe ich ein Gespräch zwischen zwei Studentinnen mitgehört. Eine von ihnen war gerade nach Leipzig gezogen und zeigte sich besorgt über den sächsischen Dialekt, den sie – na klar – schrecklich fand. Die andere wohnte schon längere Zeit in der Stadt und beruhigte sie: „Sächsisch höre ich hier eigentlich gar nicht, außer vielleicht mal beim Einkaufen in der Innenstadt.“

Kein Sächsisch in Leipzig? In welcher Stadt lebt die denn? Vielleicht weniger in Plagwitz oder Schleußig, wo sich viele der jungen Leute mit westdeutschem Migrationshintergrund niederlassen. Dafür umso mehr in Mockau oder Paunsdorf. Aber solche Teile von Leipzig kennen viele nur vom Namen her, weil sie als Endhaltestellen auf den Anzeigen der Straßenbahnen prangen. Dagewesen sind sie noch nie.

Und sie wollen auch gar nicht dorthin. Viele der Zugezogenen bleiben gerne unter sich. Sie kommen, um an der Uni zu studieren und gehen dann wieder. Oder bleiben, weil sich in Leipzig eben noch ein Lebensstil pflegen lässt, der in vielen westdeutschen Städten nicht mehr möglich ist. Sie profitieren von den vergleichsweise niedrigen Mieten und Lebenshaltungskosten und können gleichzeitig den alternativen und kosmopolitischen Geist der Stadt genießen.

Im Rahmen der „Zukunftswerkstatt“ der taz erscheint jeden Freitag statt der Neuland-Seite eine eigene Seite für Leipzig, die taz.leipzig: geplant, produziert und geschrieben von jungen Journalist*innen vor Ort.

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Und so trinken sie in schummrigen Bars mit rohen Ziegelwänden oder sitzen mit Ihresgleichen in Altbauküchen zusammen. Mit der Realität am Leipziger Stadtrand hat das wenig zu tun. Längst hat sich eine Grenze innerhalb der Stadt verfestigt: zwischen der „kulturellen Oberschicht“, die zum Großteil aus Wessis besteht, und den „rückständigen Alteingesessenen“ an den Rändern Leipzigs.

Obwohl sich erstere meist mit den Attributen alternativ und tolerant schmücken, wollen sie nicht einmal die andere Seite der eigenen Stadt sehen und verstehen lernen. Weltoffen ja, offen für alteingesessene Sachsen nein. Schon gar nicht, wenn die dann auch noch Sächsisch sprechen.

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Jahrgang 1991. Seit 2018 bei der taz, seit 2019 als Redakteurin im Auslandsressort mit Schwerpunkt online und Südosteuropa.

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