Kolumne Vuvuzela 21: Beton-Brasis, einpacken!

Liebe Brasis, wie haben wir euch geliebt! Damals seid ihr drauflos gestürmt und habt drauflos gezaubert – herrlich! Aber heute hüpfen noch nicht mal Eure Bälle auf den Rängen.

Liebe Brasis, wie haben wir euch geliebt! Den schwarzen Pelé Pelé (jetzt viel zu alt), den weißen Pelé Zico (auch schon ziemlich alt). Außerdem Garrincha (schon tot), Sócrates (schon fertig), Romário (schon vergessen), Ronaldo (schon fett)...

Aber was ist das? Seit bei euch Farblos Dummga (46, Spitzname „O Funcionário“, Brasilianisch für: „Oh Apparatschik“) das Sagen hat, ist Schluss mit Samba-Zamba. Schlimm!

Früher habt ihr gesagt: Verteidigen ist was für Gringos, Gauchos und andere Langweiler! Ihr habt gesagt: „Der schlechteste muss ins Tor“. Oder: „Der Weiße muss ins Tor“! (Was fast immer das gleiche war.) Und dann seid ihr drauflos gestürmt und habt drauflos gezaubert und drauflos gespielt und drauflos gedribbelt und drauflos kombiniert – herrlich! Eure Gegner verknoteten sich die Beine beim Blut-Grätschen, uns verknoteten sich die Zungen beim Zunge-Schnalzen. Denn: Euch ging es nicht um’s Gewinnen (das habt ihr oft genug uns oder den Gauchos überlassen), euch ging es ums schöne Spiel.

Heute sagt euer Dummga: „Das schöne Spiel muss kontrolliert werden.“ Wahrscheinlich denkt er auch: „Das schöne Vorspiel muss kontrolliert werden.“ Heute seid ihr stolz auf eure Verteidiger: die Dampf-Walze Lucio (32), den Tür-Steher Juan (31) und das Brauerei-Pferd Maicon (28)! Und gebt damit an – peinlich, peinlich! – mit Julio Cesar (30) einen der weltbesten Torhüter der Welt zu haben. Der Rest? Schummel-Brasi Fabiano (29), Brutalo-Brasi Melo (27), Alibi-Zauber-Brasi Kaka (28) – alles Kacka!

Das habt ihr nun davon! Mit eurem Buchhalter-Türsteher-Triumph-des-Willens-Angsthasen-Brutalo-Schummel-Torwart-Altherren-Fußball könnt ihr einpacken! Denn dafür wurde Brasilien nicht erfunden!

Nur Paraguay spielt langweiliger als ihr! Aber: Die Paras können nichts dafür, die haben keinen Beach, an dem sie Beach-Fußball und keine Straßen, auf denen sie Straßen-Fußball lernen könnten. Die kommen aus dem langweiligsten Land der Welt, wo noch nie irgendetwas passiert ist. (Nur einmal gab es eine Diktatur, aber die war die langweiligste Diktatur der Welt.) Nicht mal in Uruguay interessiert man sich für Paraguay.

Von euch aber, ex-liebe Brasis, wenden sich selbst eure Schoko-Brasi-Girls mit Grauen ab. Früher ließen die Zucker-Puppen vom Zucker-Hut auf den Rängen die Bälle für Brasilien hüpfen, bei dieser WM aber sieht man dort nur Mützen, Schals und dicke Daunen-Jacken! Euer Fußball bringt kein Blut zum Kochen, keine Hüfte zum Schwingen, macht niemanden heiß.

Immerhin: Nicht alles ist schlecht an euch Brasi-Bräsigs. Denn unsere Girls sind nun endgültig vom Brazil-Bazil befreit: Keine sexy Brasi-Tops mehr, keine ultrakurze Rio-Höschen, keine Volkshochschul-Kurse – endlich ist Schluss mit Samba-Zamba: „Viele Girls tragen heute lieber Deutschland-Tops“, weiß taz-Experte Jan Feddersen (52).

Soweit ist es schon gekommen: Wir sind Holland dankbar, euch weggeputzt zu haben. (Keine Sorge, irgendwer findet sich immer, der Holland wegputzt). Hauptsache, ihr seid weg, endlich!

Das sagt schon alles: Morgens eröffnet ihr in Santos (Süd-Brasilien) ein Pelé-Museum, nachmittags putzen euch die Holländer. Recht so! Denn fürs Zaubern sind jetzt unsere Zauber-Jungs zuständig. Wir brauchen euch nicht mehr. Und wir brauchen kein Museum, wir sind die Gegenwart: Zico heißt jetzt Özil, Pelé heißt Klose, Ronaldinho heißt Müller! Wir sind das Brasilien von heute! Wir sind das Deutschland von heute! Und dafür lieben wir uns über alles!

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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