Kommentar 50 Jahre Kennedy-Mord: Was heißt hier Verschwörungstheorie?

Selten wurde ein Mordfall so gründlich vertuscht und verbogen wie der an John F. Kennedy 1963. Wer steckt dahinter?

Dallas, 22. November 1963, Sekunden nach den tödlichen Schüssen. Bild: ap

Über kaum einen Politiker der Zeitgeschichte wurde mehr geschrieben als über John F. Kennedy, und über kaum einen ungeklärten Mordfall gibt es zahlreichere und widersprüchlichere Hypothesen. „Warum also noch ein Buch?“ – das war meine erste ablehnende Reaktion, als ich gefragt wurde, zum 50. Jahrestag der Ermordung ein Buch zu schreiben.

Doch dann begann ich, die Veröffentlichungen der letzten offiziellen Untersuchung des Kennedy-Mordes, des vom US-Kongress Mitte der 90er Jahre eingesetzten „Assassination Records Review Board“ (ARRB) zu recherchieren und entdeckte Erstaunliches, unter anderem den von beeidigten Aussagen der Fotografen und Ärzte belegten Beweis, dass die im Nationalarchiv lagernden Autopsiefotos und Röntgenbilder des toten Präsidenten manipuliert sind.

Warum diese Fälschungen, wenn es klar ist, dass ein Kopfschuss von hinten, den der Einzeltäter Lee Harvey Oswald aus dem 6. Stock des Schulbuchlagers an der Daley Plaza in Dallas abfeuerte, für den Tod verantwortlich war?

Und wer konnte diese Manipulationen ausführen? Die Russen, Kommunisten, die Mafia, Fidel Castro? Wegen Kennedys Verweigerung der Rückeroberung Kubas aufgebrachte Exil-Kubaner? Sicher nicht, genausowenig wie andere in den zahlreichen Theorien genannten Täter. Die Autopsie wurde im Bethesda Naval Hospital vorgenommen, unter Aufsicht hochrangiger Militärs.

Feinde in Generalstab und CIA

Dann las ich das wohl beste neuere Werk über den Kennedy-Fall – „JFK And The Unspeakable“ von James Douglass. Die dort akribisch dokumentierten Belege über Kennedys rapiden Wandel von einem klassischen kalten Krieger zu einem Friedenspolitiker machten mir klar, wie viele massiven Feinde sich Kennedy in seinem Generalstab und der CIA gemacht hatte – durch seine Weigerung, die von der CIA eingefädelte Invasion Kubas in der Schweinebucht militärisch zu unterstützen, durch seinen geheimen Briefwechsel mit Chruschtschow, der die auf Kuba stationierten Sowjet-Raketen beseitigte, durch ein nukleares Teststoppabkommen mit der Sowjetunion und durch die schriftliche Anweisung, das US-Personal aus Vietnam bis Ende 1965 komplett abzuziehen.

Dieses „National Security Action Memorandum“ (NSAM), das von all jenen Historikern und Autoren ignoriert wird, die immer noch den „Mythos Kennedy“ besingen und JFK als politisch bedeutungslosen Millionärssohn, Frauenheld und Partyhengst abtun wollen, lies sein Nachfolger Johnson unter den Tisch fallen und eskalierte den Vietnamkrieg.

Dass aber Kennedy es tatsächlich ernst meinte mit seiner Politik der Deeskalation, wird in seiner Rede vor der American University in Washington vom 10. Juni 1963 deutlich, in der er das Ende des kalten Kriegs, des Wettrüstens und der atomaren Konfrontation ankündigte.

Selbst vor seinem eigenen Kabinett hatte er diese Rede bis zum Vorabend geheim gehalten. Seinen kriegslüsternen Generälen fiel die Kinnlade bis in den Keller, als sie das hörten – ebenso wie den Hardlinern der CIA, denen er in einem weiteren NSAM untersagt hatte, auf eigene Faust verdeckte Operationen und „regime changes“ in fremden Ländern durchzuführen.

Zynischer Treppenwitz der Weltgeschichte

„Dieser kleine Kennedy dachte er sei Gott,“ sagte der nach der Schweinebucht von Kennedy als CIA-Chef gefeuerte Allen Dulles, der bis dahin mit seinem Bruder und Außenminister John Foster Dulles die US-Außenpolitik als Familienbetrieb und im Interesse seiner Wall Street-Klienten geführt hatte.

Dass dieser Allen Dulles nach den Schüssen von Dallas in der von Kennedys Nachfolger Lyndon Johnson eingesetzten Warren-Kommission zur Untersuchung des Mordes als Geschäftsführer fungierte, ist nicht nur ein zynischer Treppenwitz der Weltgeschichte.

Es macht auch unmittelbar deutlich, warum diese Kommission von Beginn an nichts anderes im Sinn hatte, als den „verrückten“ Einzeltäter Lee Harvey Oswald zu bezichtigen – selbst wenn dafür das Märchen einer „magischen Kugel“ erfunden werden musste, die dem Präsidenten und dem vor ihm sitzenden Gouverneur Conally insgesamt sieben Wunden beibrachte. Um dieses physikalische Wunder zu belegen mussten die Autopsiefotos gefälscht und das durch eine Schuss von vorn nach hinten herausgespritze Gehirn Kennedys in die Röntgenfotos wieder hinein manipuliert werden.

Nicht nur Augenzeugen der Tat wie die hinter der Limousine fahrenden Motoradpolizisten – deren damalige Aussagen, von Blut,-und Gehirnteilen getroffen worden zu sein, von der Warren-Kommission schlicht ignoriert wurden – sondern auch die Notfallärzte in Dallas sowie das für die Fotographien und Röntgenbilder der Obduktion zuständige Personal sagen aus, dass bei dem ermordeten Präsidenten ein Großteil des hinteren Schädels und der Gehirnmasse fehlte. Das sind keine windigen Verschwörungshypothesen, sondern eindeutige und gerichtsfeste Widerlegungen der offiziellen Doktrin des Einzelschützen Oswald.

Von „Mordtheorien” zu „Verschwörungstheorien”

Dennoch ist zum Jahrestag des Attentats immer wieder zu hören, dass die Wahrheit wohl nie zu ermitteln sein wird, weil im Zusammenhang mit dem Mord ja so viele Verschwörungstheorien kursieren. Das ist nichts anderes als eine Schutzbehauptung. Und zwar eine, die von der CIA selbst in die Welt gesetzt wurde, um Kritik an dem Ergebnis der Warren-Kommission zu ersticken.

Im April 1967, nachdem in dem von Staatsanwalt Jim Garrisson in New Orleans angestrengten Prozess um den Kennedymord erstmals die Geheimdienste ins Visier der Justiz gerieten, sandte die Abteilung für psychologische Kriegsführung ein Memo an alle CIA-Stationen.

In diesem Schreiben wurden Hinweise gegeben, wie mit Kritikern umzugehen sei und der bis dahin gebräuchliche Beriff „Assassination-Theories“ (Attentats-Theorien) durch „Conspiracy-Theories“ ersetzt. Das bis dahin neutrale Wort „Verschwörungstheorie“ wird zu einem Kampfbegriff umgemünzt und Kritikern unterstellt, dass sie als „Verschwörungstheoretiker“ allein aus staatsfeindlichen und/oder kommerziellen Gründen unterwegs sind.

Wenn man die aktuellen Veröffentlichungen des Medienmainstreams zum Kennedymord zur Kenntnis nimmt, kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass dieser Betriebsanleitung für den öffentlichen Diskurs bis heute gefolgt wird.

So druckten New York Times und Washington Post unlängst ein langes Feature der Agentur AP unter dem Titel „ Fünf Jahrzehnte nach dem Kennedymord brummt die Verschwörungstheorie-Industrie“ – um dann mit ganzen zwei Beispielen für diese brummende Industrie aufzuwarten: Mark Lanes Bestseller „Rush to Judgment“ von 1965 und Oliver Stones Film „JFK“ von 1991.

Diese ebenso alten wie immer noch durchaus empfehlenswerten Werke dafür verantwortlich zu machen, dass heute rund 70 Prozent aller US-Amerikaner nicht an den Einzeltäter Oswald glauben, ist zwar absurd, aber auch für die sogenannte Qualitätspresse akzeptabel, wenn sie mit einer fiktiven Verschwörungsindustrie und sinistren Kommerzmotiven gleichsetzt werden

Staatsstreich in Amerika

Nur eine Fußnote ist es da wert, dass in Sachen JFK in Wahrheit mit ganz anderen Produkten Kasse gemacht wird: der ultrarechte TV-Moderator Bill O’Reilly verkaufte von seinem Buch „Killing Kennedy“, das Oswald der Alleintäterschaft beschuldigt, in den ersten fünf Monaten des Jahres 2013 in den USA über ein Million Exemplare.

Bis heute sind tausende Seiten von CIA-Dokumenten aus Gründen der nationalen Sicherheit gesperrt. Darunter sind auch so scheinbar banale Papiere wie die Steuerbescheide des Lee Harvey Oswald, weil dieser zum Sündenbock aufgebaute inoffizielle Mitarbeiter der Geheimdienste vermutlich von einer Strohfirma ein Gehalt bekam.

Dass „normale“ Kriminelle oder fremde Kommunisten zu einer solchen Zurückhaltung von Akten ebenso wenig in der Lage sind wie zu der Manipulation von Autopsiefotos spricht für die Mittäterschaft staatlicher Behörden an diesem Mord und damit für den Titel, den ich meinem Buch gegeben habe: „JFK – Staatsstreich in Amerika“.

Mit verdeckten Operationen in Kooperation mit organisierten Kriminellen und Freiheitskämpfern/Terroristen hatten die CIA in den 50er Jahren etliche Regierungswechsel in zahlreichen Ländern erfolgreich durchgeführt, mit den Schüssen in Dallas am 22. November 1963 inszenierten sie einen solchen erstmals im eigenen Land.

Mit den folgenden und ebenso ungeklärten Morden an Robert Kennedy und den schwarzen Bürgerechtlern Malcolm X und Martin Luther King wurde dieser Staatsstreich zementiert und jede Reform einer auf rein militärischer Machtausübung basierenden imperialen Politik verhindert.

Mathias Bröckers: „JFK - Staatsstreich in Amerika“, Westend Verlag, August 2013, 288 Seiten, 19,99 €

Zur Buchseite des Verlags geht es hier.

Diese hält bis heute an und wird von Kräften betrieben – aktuelles Beispiel ist die NSA – die über dem Gesetz und jenseits jeder parlamentarisch-demokratischen Kontrolle stehen.

Deshalb kann auch niemand über die Präsidentschaft des Friedensnobelpreisträgers Barack Obama wirklich enttäuscht sein. Denn allen Präsidenten nach Kennedy ist das Fanal von Dallas stetige Warnung: wer nicht nach der Pfeife des militärisch-industriellen Komplexes tanzt, vor dessen wachsender politischer Einflussnahme noch Kennedys Vorgänger Eisenhower in seiner Abschiedsrede eindringlich warnte, wird weggeschossen.

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Jahrgang 1954, ehemaliger Blogwart von taz.de; gehörte zur Gründergeneration der taz, war Kulurredakteur bis 1991, erfand die Seite „Die Wahrheit“, danach Kolumnist für die „Zeit“, die „Woche“ und Wissenschaftsautor im ARD-Radio. Schrieb zahlreiche Bücher, darunter internationale Besteller über Hanf (1993) und den 11.9. (2002, 2011), bloggt seit 2004 und beriet die taz seit 2006 bei ihrer Online-Entwicklung.

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