Kommentar Ägypten: Unschöner Nachgeschmack

Staatsstreich? Putsch? Aufstand? Das Vorgehen des Militärs wird von vielen Ägyptern begrüßt. Die Repressionen jetzt geben allerdings zu denken.

Ein junger Ägypter vor einem Anti-Mursi-Graffito, das sich vorerst erledigt hat. Bild: Andre Pain/dpa

Zugegeben: Wenn man die Begeisterung in den Gesichtern der Menschen auf dem Tahrir-Platz sieht, wenn man Jung und Alt tanzend durch die Straßen Kairos ziehen sieht, fällt es schwer, den Staatsstreich in Ägypten zu verurteilen.

Nachdem das Militär den islamistischen, aber eben frei gewählten Präsidenten Mohammed Mursi am Mittwochabend entmachtet hat, ist die Freude noch immer überwältigend. „Wir lieben das Militär“, hört man immer wieder in den Straßen Kairos. Mursi ist weg – das ist es, was für die Jubelnden momentan zählt.

Das Argument, die Ägypter hätten bis zu den nächsten Wahlen warten sollen, um der Regierung die Quittung zu präsentieren, ist schwach. Es mag plausibel klingen in den Ohren überzeugter Demokraten im Westen, nicht aber in denen derer, die stundenlang an Tankstellen anstehen, denen täglich der Strom abgestellt wird und die aufgrund des ausbleibenden Tourismus' und einer hinkenden Wirtschaft ihr tägliches Brot nicht mehr verdienen können.

Es zeugt auch von einem fragwürdigen Demokratieverständnis, allein auf Wahlen zu setzen. Für viele Mursi-Gegner war die Entmachtung des Präsidenten durch das Militär kein Putsch, sondern die folgerichtige Reaktion der Generäle auf die breite Protestbewegung. Das Militär habe doch gar nichts gemacht, argumentieren sie, die Millionen von Menschen seien es gewesen, die Mursi gestürzt hätten.

Doch das ist nur die eine Seite. Es dauerte keine 24 Stunden, bis das Militär eine Kampagne gegen die Muslimbrüder startete, die stark an die repressive Politik von Ex-Diktator Hosni Mubarak erinnert. Der Führer der Muslimbruderschaft, Mohammed Badia, sein Vorgänger Mohammed Mehdi Akif und seine Stellvertreter Raschad al-Bajumi und Saad al-Katatni wurden ins Gefängnis geworfen. Gegen andere Muslimbrüder wurden Haftbefehle ausgestellt. Auch gegen die Medien gingen das Militär hart vor und schloss Fernsehkanäle, die der Muslimbruderschaft nahestehen.

Es bleibt ein enorm unschöner Nachgeschmack nach dem von einer breiten Protestbewegung unterstützten Militärputsch. Vor allem aber stellt sich die Frage, wie es nach der Konfrontation zwischen Militär und Islamisten weitergehen soll. Es wird unmöglich sein, in einem auch nur annähernd demokratischen System die Muslimbrüder aus dem politischen Prozess herauszuhalten.

Der Übergangspräsident Adli Mansur kündigte zwar bereits an, sie in eine neue Regierung einbinden zu wollen. Dass diese aber kategorisch ablehnten, mit den neuen Machthabern zusammenzuarbeiten, erstaunt nicht. Es ist dies der erste Vorgeschmack auf die Reaktion der Muslimbrüder, die nach Jahrzehnten der Unterdrückung durch demokratische Wahlen an die Regierung gekommen sind – um nach nur einem Jahr bereits wieder gestürzt zu werden.

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ist Redakteur für Nahost & Nordafrika (MENA). Davor: Online-CVD bei taz.de, Volontariat bei der taz und an der Evangelischen Journalistenschule Berlin, Studium der Islam- und Politikwissenschaft in Berlin und Jidda (Saudi-Arabien), Arabisch in Kairo und Damaskus. Er twittert unter twitter.com/jannishagmann

Auch Jahre nach Beginn des „Arabischen Frühlings“ reißen die Massenproteste nicht ab. Ein ganzes Jahrzehnt ist tief durch die Arabellion geprägt. Im Schwerpunkt-Dossier „Zehn Jahre Arabischer Frühling“ berichten taz-Korrespondent*innen und Gastautor*innen aus den Umbruchsländern vom Maghreb über Nordafrika bis nach Syrien, den ganzen Nahen Osten und die arabische Halbinsel.

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