Kommentar Amoklauf in Connecticut: Debattieren über Waffenbesitz – jetzt

Tränen reichen nicht. Beten auch nicht. Nach Newtown muss Präsident Obama für eine Schusswaffenkontrolle in den USA sorgen. Und die Lobbyisten ignorieren.

Die Stärke der Waffenlobby in den USA kann, wenn überhaupt, nur jetzt durchbrochen werden. Bild: dapd

Nach Newtown findet einmal mehr das makabere Ritual statt, das auf jede tödliche Schießerei in den USA folgt. Die sekundengenaue Rekonstruktion des Massakers. Die tiefen Einblicke in die Leben der Toten. Der Zoom auf die Leiden der Hinterbliebenen. Die Suche nach Helden. Und die große Frage nach dem Sinn: Warum passiert so etwas? Warum erschießt jemand so viele wehrlose Menschen? Darunter in diesem Fall zwanzig Kinder im Alter von sechs und sieben Jahren.

Diese Fragen müssen gestellt werden. Und sie werden voraussichtlich wieder zu einem beunruhigenden Ergebnis führen: Ein gestörter junger Mann im Zentrum. Ausgebliebene Hilfe. Und Angehörige, die Warnsignale nicht verstanden haben.

Doch jenseits des individuellen Zustands des Täters gibt es in den USA eine nationale Pathologie. Eine Selbstverständlichkeit der Legalität von Schusswaffen, wie sie nirgendwo sonst in der Welt existiert. Ein Kult, der dazu geführt hat, dass im Jahr 2012 an die 300 Millionen Schusswaffen in privaten Händen sind. Dass alljährlich in den USA mehr als 9.000 Menschen mit Schusswaffen getötet werden. Dass in den zurückliegenden vier Jahren in den USA beinahe 100 neue Gesetze das Kaufen, Besitzen und Tragen von Schusswaffen erleichtert haben. Und dass es in den meisten Bundesstaaten heute leichter ist, eine Schusswaffe zu bekommen als einen Führerschein.

Wie stark die Schusswaffenlobby in den USA ist, zeigt sich vor jeder neuen Wahl, wenn Kandidaten beider Parteien vor der National Rifle Association (NRA) das Gelübde ablegen, dass sie das „Recht“ auf Schusswaffen verteidigen werden. Und wenn selbst jene Politiker, die dieses Gelübde verweigern, es nicht wagen, nach mehr Schusswaffenkontrolle zu verlangen. Nachdem extreme Kräfte jahrelang Propaganda im Sinne der NRA gemacht haben, gilt diese Forderung in den USA als gefährlich für politische Karrieren.

Dieser weit fortgeschrittene Wahnsinn lässt sich – wenn überhaupt – nur in Momenten wie dem jetzigen stoppen. Vor dem tragischen Hintergrund der 20 erschossenen Kinder. Und von einem Präsidenten wie Barack Obama, der gerade eine Wahl gewonnen hat. Er steht am Anfang seiner letzten Amtszeit. Die extremen rechten Kräfte sind ein wenig zurückgedrängt. Und die Öffentlichkeit ist über das jüngste Massaker entsetzt.

Obama hat sich nach der Schießerei von Newtown emotional stark berührt gezeigt. Wenn er künftige Schießereien verhindern will, muss er jedoch mehr tun als Mitgefühl zeigen und beten. Er muss die Schusswaffenkontrolle zur politischen Chefsache machen – und die Lobbyisten dabei ignorieren.

Als erstes müssen Hintergrundchecks für alle Waffenkäufer eingeführt und der Verkauf und Besitz von Schnellfeuerwaffen gebannt werden. Und als zweites steht die grundsätzliche Debatte über Waffenbesitz an. Nach Newtown ist beides moralischer Imperativ.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Kommt aus Köln. Ihre journalistischen Stationen waren Mexiko-Stadt, Berlin, Paris, Washington und New York.

Das finden Sie gut? Bereits 5 Euro monatlich helfen, taz.de auch weiterhin frei zugänglich zu halten. Für alle.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.