Kommentar Anklage gegen Mursi: Kein Vertrauen in die Justiz

In Ägypten gilt: Mursi verteufeln und Mubarak vergessen. Um die Vergehen des langjährigen Präsidenten kümmert sich niemand mehr so richtig.

Der oberste Staatsanwalt hofft, Mursi rechtskräftig verurteilen und dann wegsperren zu können. Bild: reuters

Seit zwei Monaten wird der vom Militär gestürzte Expräsident Mohammed Mursi an einem unbekannten Ort festgehalten und von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Doch selbst für die ägyptischen Generäle ist das offenbar kein Dauerzustand. Der oberste Staatsanwalt hofft daher, Mursi rechtskräftig verurteilen und dann wegsperren zu können. Entsprechend hat er ihm den Tod von mindesten zehn Demonstranten vor dem Präsidentenpalast zur Last gelegt. Ein Gerichtstermin steht noch nicht fest.

Nun gibt es keinen Grund, Vertrauen in die ägyptische Justiz zu setzen, schon gar nicht bei politisch so brisanten Prozessen wie denen gegen Mursi oder auch Mubarak. Bisher haben die Richter und Staatsanwälte es weder geschafft, die Korruptionsfälle der 30-jährigen Mubarak-Herrschaft auch nur ansatzweise aufzuarbeiten. Noch haben sie jemanden für die 800 Toten beim Aufstand gegen Mubarak zur Rechenschaft gezogen.

Gegen Mubarak führte die Staatsanwaltschaft das Verfahren so schlampig, dass der Exdiktator nach Ablauf einer zweijährigen Untersuchungshaft wieder aus dem Gefängnis entlassen werden konnte. Er steht nun unter Hausarrest. Und schließlich: Die Morde an rund 1.000 Anhängern aus dem Pro-Mursi-Lager ließ die Staatsanwaltschaft noch nicht einmal untersuchen.

Unterm Strich ist die Situation in Ägypten damit folgende: Mubarak und seine Entourage werden nicht belangt, und der Militär- und Sicherheitsapparat darf straffrei Menschen töten. Mehr muss man über die ägyptische Justiz eigentlich nicht wissen. Mursi verteufeln und Mubarak vergessen, das hat System: Das ist das alte System.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.