Kommentar Arbeitslosenzahlen: Sicherheit gibts nur noch gegen Geld

Hartz IV wurde zum Synonym für Absturzängste auch der Mittelschichten. Die neuen Arbeitslosenzahlen sagen: Irgendwie geht es ja doch weiter - ohne die alten Sicherheiten.

Eine gute Nachricht ist eine gute Nachricht, trotz Wenn und Aber: Die Arbeitslosenzahlen sinken auf den niedrigsten Stand seit zwölf Jahren, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten wächst. Konjunkturforscher warnen zwar schon, dass der Aufschwung spätestens im nächsten Jahr sein Ende erreichen wird. Aber trotzdem: Die Zeiten, in denen die soziale Lage in Deutschland am wachsenden Heer der Hartz-IV-Empfänger gemessen wurde, scheinen vorbei zu sein. Stattdessen wird jetzt ein alter Maßstab neu an das kollektive Wohlbefinden angelegt: Es geht ums Geld.

Auf jenem Platz in der öffentlichen Wahrnehmung, wo früher die Horrormeldungen über die steigende Zahl der Langzeitarbeitslosen standen, spielt sich jetzt der Streit um Mindestlöhne und Nettoverdienste ab. Es ist kein Zufall, dass manche Sozialpolitiker heute gerne behaupten, Hartz IV stelle doch schon eine Art untere Lohngrenze dar, schließlich würde niemand freiwillig für weniger Geld arbeiten. Das ist erstens falsch, denn hinzuverdienende Ehefrauen beispielsweise haben gar keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II und jobben daher oft für noch weniger Geld. Zweitens aber zeigt sich, dass es in der Entgeltdebatte offenbar an Maßstäben mangelt, wenn schon die "Stütze" als Lohnreferenz herhalten muss.

Was ein fairer Lohn ist, entwickelt sich dabei nicht nur zu einer existentiellen Frage eines wachsenden Dienstleistungsproletariats. In Zeiten, in denen die soziale Absicherung zunehmend zur Privatangelegenheit wird, gewinnt die Entgeltfrage auch für die Mittelschichtmilieus an Brisanz. Schließlich müssen aus dem Arbeitseinkommen die wachsenden Zuzahlungen für die Gesundheitsversorgung und Geld fürs Alter zurückgelegt werden - Sicherheit gibt es nur noch gegen Geld.

Hartz IV ist in den vergangenen zweieinhalb Jahren zum Synonym geworden für Absturzängste auch der Mittelschichten. Das hat sich verändert. Die Arbeitslosenzahlen sagen: Irgendwie geht es ja doch weiter. Aber anders als früher. Nicht für alle. Und ohne die alten Sicherheiten.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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