Kommentar: „Arisierungs“-Gewinne: Fakten statt Fahrradständer

Es ist ausgesprochen selten, dass der weltweit drittgrößte Logistikkonzern auf städtische Gremien angewiesen ist. Bremen sollt die Chance nutzen, sich Gehör zu verschaffen

„Alles genommen“: ein Entwurf des Frankfurter Bildhauers Achim Ripperger. Er gehört zu den Einsendungen des laufenden Ideen-Wettbewerbs der taz für ein Bremer „Arisierungs“-Mahmal Foto: Entwurf: Achim Ripperger

Wer es ernst meint mit der Haltung, Kühne+Nagel dürfe seine ausgeprägte NS-Geschichte nicht nach Gutsherrenart zurechtbiegen, hat nur wenige Gelegenheiten, dies dem Unternehmen nachdrücklich deutlich zu machen. Denn es ist ausgesprochen selten, dass der weltweit drittgrößte Logistikkonzern auf städtische Gremien angewiesen ist.

Zum groß aufgezogenen Firmenjubiläum wollte Kühne+Nagel öffentliche Ehre – und bekam sie überreichlich und bar jeden kritischen Wortes. Nun will das Unternehmen einen öffentlichen Platz überbauen – und bekommt immerhin eine doppelte Botschaft übermittelt: Bitte baut bei uns, sogar weitgehend nach eigenem Gutdünken, aber gut ist eure Geschichtsbeschönigung nicht. Solche Stellungnahmen sind ein – medial hart erarbeiteter – Fortschritt. Aber immer noch die Sorte Statement, die das Unternehmen achselzuckend zu den Akten legen kann.

Wenn die Bremer Politik hingegen ein faktisches Zeichen setzen will, könnte sie zum Beispiel sagen: Auf dem nach wie vor öffentlichen Gelände rund um die Firmenzentrale ist nicht nur Platz für die zahlreich dort geplanten Fahrradständer – sondern auch für ein „Arisierungs“-Denkmal. Das hätte eine Qualität, die weit über Kühne+Nagel hinausweist. Denn nicht wenig des Besitzes der Deportierten, mit dem Kühne+Nagel die „Judenauktionen“ belieferte, geistert noch heute durch deutsche Familien.

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2015 bis 2022: Von der taz-Kampagne „4 Qm Wahrheit“ bis zum Bau des Arisierungsmahnmal in Bremen

Kühne+Nagel: Das Logistikunternehmen Kühne+Nagel (K+N) feiert 2015 auf dem Bremer Marktplatz sein 125-jähriges Jubiläum und stellt dabei die Firmengeschichte zur Schau. Die taz recherchiert die fehlenden Fakten, u.a. die maßgebliche Beteiligung der Firma am Abtransport der Wohnungseinrichtungen der deportierten jüdischen Bevölkerung in ganz Westeuropa.

Crowdfunding: Unter dem Motto „4 Qm Wahrheit“ werden 27.003 Euro für den Kauf von 4 Quadratmeter Boden auf dem Platz gesammelt, auf dem K+N in Bremen seinen Neubau errichten will – als Standort für ein Mahnmal.

Kaufangebot: Die taz bietet der Stadt Bremen den doppelten Quadratmeterpreis wie K+N. Das Angebot wird abgelehnt, involviert aber Finanz- und Bauausschuss in die Thematik.

Gestaltungs-Wettbewerb: Die taz sammelt Ideen, wie „die Totalität der,Verwertung' jüdischen Eigentums in Gestalt eines Mahnmals visualisiert werden könnte. Unter den 60 Teilnehmenden des Gestaltungs-Wettbewerbs aus ganz Deutschland und Österreich sind sowohl bekannte Künst­le­r:in­nen als auch Schulklassen. Der Wettbewerb löst zahlreiche familienbiographische Nachfragen und Auseinandersetzung aus. Der Entwurf von Evin Oettingshausen kommt auf Platz 1.

Die taz veranstaltet am 3. November 2016 ein Symposium in der Bremischen Bürgerschaft: „Arisierung“ – über den Umgang mit dem Unrechts-Erbe.

Alle Fraktionen der Bremischen Bürgerschaft beschließen im November 2016 den Bau des Mahnmals.

Langes Ringen um den „richtigen“ Standort in Bremen: Soll das Mahnmal bei Kühne+Nagel, am Europahafen, an der Jugendherberge oder irgendwo dazwischen verortet werden?

Dynamik: Parallel zum politischen Prozess entstehen, ausgelöst von der Kampagne „4 qm Wahrheit“, künstlerische Aktionen, temporäre Mahnmale, Masterarbeiten, internationale Ausstellungsbeiträge, Radioreportagen und Regionalromane.

Ergebnis: Am 1. Februar 2022 beschließt der Bremer Senat den Bau des Mahnmals – zwischen Kaisenbrücke und den Bremer Weserarkaden, schräg unterhalb des Firmengebäudes von Kühne+Nagel.

Eröffnung: Am 10. September 2023 wurde das „Arisierungs“-Mahnmal eröffnet. Begleitinformationen finden sich auf der Webseite: geraubt.de

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