Kommentar Armutsbericht: Arm dran in Deutschland

Die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft sich immer weiter. Das Beuruhigende daran: Eine Trendwende zeichnet sich nicht ab - vor allem nicht durch weniger Steuern oder weniger Staat.

Die bundesrepublikanische Gesellschaft franst sozial aus. Es gibt mehr Reiche und vor allem mehr Arme. Die Mittelschicht, die das selbstverständliche Fundament der Republik war, schwindet. Das ist nun amtlich. Es steht im neuen Armutsbericht der Bundesregierung. Wie einschneidend ist das? Und: Was folgt daraus?

Wenn man den europäischen Maßstab anlegt, besteht kein Anlass zum Katastrophismus. Die soziale Kluft in Deutschland ist zwar tiefer als in Skandinavien, aber nicht so tief wie in Frankreich oder Großbritannien. Auch den heutigen Rentnern geht es eher gut. Allerdings gibt es eine Tendenz, die seit dem Jahr 2000 erschreckend zugenommen hat: Wer Kinder allein erzieht, wer arbeitslos ist oder zu den Geringverdienern gehört, wird schneller arm. Die working poor, die man vor zehn Jahren hierzulande noch für ein schrilles Symptom der Ungerechtigkeit des US-Kapitalismus hielt, sind mittlerweile deutsche Realität.

Was tun? Die Union meint, dass Sozialbeiträge und Steuern sinken müssen, damit die Armut abnimmt. Das klingt gut - aber nur für die Mittelschicht. Den Armen bringt es nichts. Denn wer keine Steuern zahlt, hat auch nichts von Steuersenkungen. In diesem Punkt ist der Armutsbericht in der Tat aufschlussreich. Er zeigt klipp und klar, was bis Ende 2005, also unter Rot-Grün, geschah. Rot-Grün hat die Einkommensteuern drastisch gesenkt, die Zahl der Armen stieg gleichwohl an. Insofern ist "Steuern runter" ein Slogan für Wahlkämpfe, aber kein brauchbares Konzept der Armutsbekämpfung.

Die SPD hingegen setzt auf den Mindestlohn. Das ist richtig, weil der Niedriglohnsektor boomt und viele arm sind, weil sie nur ein paar Euro in der Stunde verdienen. Aber das gilt keineswegs für alle working poor. Viele verdienen mehr als 8 Euro in der Stunde - und gelten dennoch als arm, weil sie Kinder haben.

Kurzum: Das soziale Gefüge wackelt. Wirklich alarmierend ist - und da hilft auch kein beruhigender Blick auf die EU-Nachbarn mehr - die Aussicht, wie es weitergeht. Die Kluft zwischen Reich und Arm vertieft sich seit Jahren - und eine Umkehr dieses Trends ist nicht absehbar. Klar ist: Weniger Steuern und weniger Staat helfen dagegen nichts.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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