Kommentar Baden-Württemberg: Die grüne Selbstbeschränkung

Die Grünen haben der SPD im baden-württembergischen Kabinett alle Schlüsselressorts überlassen. Aber das ist keine Kapitulationserklärung.

Die SPD hat in der grün-roten Regierung in Stuttgart alle sogenannten Schlüsselressorts besetzt – Finanzen und Wirtschaft, Inneres, Justiz und sogar die Bildung. Die Grünen sind indes nur für Landwirtschaft, Umwelt und Verkehr zuständig. Haben sich die grünen Neulinge von den Sozialdemokraten über den Tisch ziehen lassen? Hätten die Grünen nicht mehr Machtwillen zeigen und neue Politikfelder besetzen müssen, anstatt es sich in ihrer ökologischen Nische gemütlich zu machen? Wollen die Grünen gar keine Volkspartei sein?

Wenn man der dürren Ämterlogik folgt, dann ja – aber auch nur dann. Denn die Grünen haben sich durchaus machtbewusst die Hoheit über zwei Schlüsselthemen gesichert: Stuttgart 21 und die Energiewende – die komplizierteste Herausforderung im Atomstrom-Ländle. Dafür sind die grünen Minister für Umwelt und Verkehr zuständig.

Diese Kabinettsliste ist keine Kapitulationserklärung der Grünen. Sie folgt eher der Logik, dass jeder macht, was er kann. Die Sozialdemokraten treiben sozialen Wohnungsbau voran, die Grünen fördern Ökobauern. Das ist nicht spektakulär, hat aber einen Vorteil: Es könnte funktionieren.

Dass die Grünen der SPD viel Platz geben, verrät Weitblick. Die beiden Fraktionen sind fast gleich stark. Die SPD leidet im Stillen und ist leicht reizbar. Dass die Genossen so reich mit Ämtern beschenkt werden, soll da beruhigend wirken. Das ist rational. Internen Zwist kann sich Grün-Rot, das gegen die verkrusteten CDU-Strukuren im Land regieren muss, nicht leisten.

Vor allem aber zeigt die grüne Selbstbeschränkung in diesem Kabinett, dass die Partei nicht der Illusion erliegt, sie müsse sich nun wie eine allzuständige Volkspartei aufführen. Denn das sind die Grünen nicht. Sie haben zwischen Konstanz und Schwäbisch Hall knapp 8.000 Mitglieder, die SPD hat 5-mal, die CDU 10-mal so viele. Die Grünen sind auch soziologisch keine Volks-, sondern eine klassische Milieupartei. Sie sind städtisch und akademisch, mit vielen Lehrern und Beamten, wenigen Arbeitern, wenigen Dörflern. Die Grünen waren bei den Wahlen erfolgreich – tief in der Gesellschaft als Ganzem verwurzelt sind sie nicht.

Nichts wäre für die Grünen da gefährlicher, als sich Kompetenzen anzumaßen, über die sie nicht verfügen. Deshalb ist Kretschmanns Kurs richtig – nicht unprofessionell, sondern angemessen.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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