Kommentar Bahnprotest in Italien: Infrastrukturelle Fehlentscheidung

Trotz täglichem Chaos setzen italienische Politiker auf Autos und Lkw. Auch die Hochgeschwindigkeitstrasse durch das Susa-Tal bedeutet keine Abkehr von dieser Politik.

Italien hat enorme infrastrukturelle Defizite. Eine Drei-Millionen-Einwohner-Stadt wie Rom hat ein U-Bahn-Netz, das jeder Beschreibung spottet. Ein Reise in den Süden des Landes wird immer wieder zur Tortur – egal ob man sie mit dem Auto antritt oder lieber den Zug nimmt. Alle großen Städte ersticken im Verkehr. Und Verkehr heißt in Italien: das Auto. Und bei Gütern praktisch immer: der Lkw.

Für neue U-Bahn-Linien, für einen Ausbau auch nur der Radwege in den Städten, ist - so heißt es immer wieder - "leider kein Geld da".Geld reichlich dagegen soll in einige wenige Großprojekte fließen. Da ist zum Beispiel die Brücke von Messina, die Sizilien ans Festland anbinden und schlappe sechs Milliarden Euro kosten soll.

Und da ist die Bahnstrecke Turin-Lyon. Auf ihr werden einmal, sollte sie je fertig werden, halbleere Hochgeschwindigkeitszüge brausen. Das Problem Italiens, mit der "Modernität" Schritt zu halten, werden sie nicht lösen.

Auf den wirklich entscheidenden Verkehrsachsen macht Italien schier gar nichts dafür, die Verlagerung des Gütertransports von der Straße auf die Schiene durchzusetzen.

MICHAEL BRAUN ist Italien-Korrespondent der taz.

Während das Gros des Gütertransports Richtung Schweiz und Österreich auf hunderttausenden Lkws abgewickelt wird und die Regierung beim Ausbau ökologisch sinnvoller Verkehrsnetze um Jahre hinterherhinkt, soll ausgerechnet der Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke durchs völlig drittrangige Susa-Tal neue Wege in der Verkehrspolitik öffnen.

Ein Witz. Mehr noch: ein schlechter Witz.

Sind solche Megaprojekte aber erst einmal angeschoben, ist es äußerst schwer, wieder aus ihnen auszusteigen. Das lehrt auch Stuttgart 21.

Dennoch wäre Italiens Regierung gut beraten, die Bauarbeiten einzustellen. Nicht um vor dem Protest "einzuknicken", sondern um die Zukunftschancen des Landes zu wahren.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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