Kommentar Brandanschlag in Tröglitz: Die Barbarisierung des Abendlandes

Gewaltdelikte und verbale Pöbeleien gegen Flüchtlinge und Ausländer nehmen exponentiell zu. Die NPD hat dafür den Boden bereitet.

Sachsens-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff und Innenminister Holger Stahlknecht in Tröglitz Bild: dpa

Die brennende Asylbewerberunterkunft in Tröglitz weckt Erinnerungen an die pogromartigen Attacken auf Ausländerunterkünfte in Hoyerswerda und Rostock 1991. Doch anders als damals entlud sich in dieser Karfreitagnacht nicht der Gefühlsstau von der Einheit enttäuschter Ossis gegenüber den noch Schwächeren. Mit der exponentiellen Zunahme von Gewaltdelikten und verbalen Pöbeleien gegen Flüchtlinge und Ausländer gehen gleich mehrere giftige Saaten der vergangenen Jahre auf.

Die NPD hat dafür den Boden bereitet. Als politische Kraft beinahe bedeutungslos geworden, genießt sie paradoxerweise mit dem wachsenden Flüchtlingsstrom späte Erfolge. Die Tröglitzer Drohungen und Proteste wurden maßgeblich vom NPD-Funktionär Steffen Thiel organisiert. Und den geistigen Brandstiftern kommt überall in Deutschland und Europa ein Klimawandel entgegen. Studien belegen die weite Verbreitung von Nationalismus und Ressentiments gegenüber dem Fremden.

„Wohnzimmer-Rassismus“ nennt das beispielsweise eine ausländische Dozentin an der TU Dresden. Was vor Pegida noch mit einem Tabu belegt war, gilt inzwischen als selbstverständliche freie Meinungsäußerung. Ein Pegida-Plakat „Was früher normal war, gilt heute als rechts“ stellt die Tatsachen genau auf den Kopf. Was lange als rechtsextrem galt, zählt inzwischen zur Normalität! Deshalb soll die „Lügenpresse“ Leute, die kaum noch kaschierten Hasspredigten applaudieren, ja auch nicht als Nazis bezeichnen dürfen.

Diese Rechtsverschiebung geht einher mit der Radikalisierung und Barbarisierung des öffentlichen und politischen Diskurses. Wir entsetzen uns über die Gräuel von islamistischen Attentätern und Terrormilizen und bemerken nicht, wie wir sie gedanklich und verbal längst kopieren. Im anonymen Internet gibt es die Hemmschwellen öffentlicher Plätze nicht mehr, da kann jeder zur Vergasung Andersdenkender aufrufen. Ein kleiner Schritt nur noch bis zur tatsächlichen Ausführung eines Brandanschlages.

Keiner dieser „Verteidiger“ des christlich-deutsch-provinziellen Abendlandes hat je das biblische Neue Testament gelesen. Bei Matthäus 25 verheißt Jesus denen ewige Belohnung, die Hungrige gespeist und Obdachlosen Unterkunft gewährt haben. „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“, mahnt er. Es ist mehr als eine Spekulation, dass die alarmierende Entfernung von solchen europäischen Wurzeln, die schleichende Barbarisierung ihre Ursache letztlich in der ökonomischen Radikalisierung hat. Man muss kein Marxist sein, um eine solche These für plausibel zu halten.

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Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.

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