Kommentar Brüderles Übergriff: Den Zeitgeist erschnuppert

Die Dinosaurier „Stern“ und Rainer Brüderle passen hervorragend zusammen. Ihr Frauen- und ihr Männerbild stammt aus der Antiquitätenkiste.

Franz Josef Wagner versteht gar nicht, wo denn das Problem liegt. „Ein Mann darf keiner Frau mehr auf den Busen gucken. Sollen nur noch Polizisten zwischen Mann und Frau sein?“, fragt der Bild-Kolumnist zum Busenkommentar des FDP-Fraktionsvorsitzenden Rainer Brüderle.

Anders denken die Frauen, die beim Kurznachrichtendienst Twitter einen Sturm verursachten: In lakonischen 140 Zeichen wird da gesammelt: Man gehört mal richtig durchgevögelt, hat keinen abgekriegt oder ist sowieso nur was fürs Bett.

Ja, das ist das Leben, da hat Wagner durchaus recht. Aber das gefällt vielen Menschen nicht. Neu ist, dass diese Menschen nun ein wirksames Medium haben: Twitter. Und neu ist auch, dass klassische Männermedien wie Stern und Spiegel den Protest der Frauen plötzlich ernst nehmen.

Der Stern, der keine Gesundheitsgeschichte ohne nackte Frau auf den Titel bringt, und der Spiegel, der sich zuletzt noch über Feministinnen empörte, die angeblich Männer umerziehen wollen – jetzt das Sturmgeschütz der Emanzipation? Das ist schon lächerlich. Aber da haben zwei Medien den Zeitgeist gut erschnuppert: Die jungen Frauen bekommt man eben heute nur noch, wenn Feminismus in das Angebot eingespeist wird. Und junge Frauen wollen alle. Gut so.

Auch gut ist, dass einige Männer nun irritiert nachfragen. Wie Wagner ist auch ihnen die Grenze zwischen Flirt und Belästigung nicht klar. Die Antennen dafür, was das Gegenüber goutiert und was nicht, könnten sie doch langsam mal ausbilden.

Nicht gut dagegen ist, dass der Stern tatsächlich glaubt, junge, hübsche Frauen könnten auf Politiker „angesetzt“ werden, wie es dort heißt. Journalistinnen werden also nach Aussehen rekrutiert? Und bei Männern setzt daraufhin das Hirn aus? Das ist nicht nur ein Frauen-, sondern auch ein Männerbild aus der Antiquitätenkiste. Doch siehe da: Auf Brüderle trifft dieser Anachronismus noch zu. Da passen die Dinosaurier Stern und Brüderle hervorragend zusammen.

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Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.

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